Kelvyn Colt: „What you won’t do for love.“

Wie Nächstenliebe und Hip-Hop zusammenpassen? Perfekt! Das beweist Hip-Hop-Visionär Kelvyn Colt auf ziemlich smarte Art. Doch für den Wiesbadener ist das erst der Anfang. 

Kelvyn Colt ist überpünktlich. Auch kommt er – anders als viele seiner Rapper-Kollegen – allein, ohne große Entourage. Sein britischer Publizist erscheint erst später. Er trägt einen Kunstpelz-Mantel von GCDS, einem der momentan gehyptesten italienischen Streetwear-Brands. Diese Anschaffung aus New York bezeichnet er später als „Laster“.

Während des Shootings ist er recht ruhig, höflich und sehr professionell. Später dann, beim Interview, zeigt er sich extrem reflektiert und nahbar. Die Energie und Ruhe, die er ausstrahlt, ist einzigartig. Kelvyn Colt ist zweifelsohne anders! Mit seinen Songtexten über Themen wie Einsamkeit und Depressionen stellt er den Status quo infrage. Ohne auch nur den geringsten Hauch an Swagg zu verlieren. Think outside the box! Warum Kelvun Alaja alias Kelvyn Colt eine besondere Vision treibt und mit Herz und Verstand Menschen vereint. Und warum diese Vision genau das ist, was die Welt gerade braucht.

Ich liebe es, Auto zu fahren. Es ist einfach ein großartiges, befreiendes Gefühl.

KELVYN COLT

Hey Kelvyn. Was bedeutet Autofahren für dich?

Ich liebe es, Auto zu fahren. Es ist einfach ein großartiges, befreiendes Gefühl – besonders wenn man in Deutschland fährt,  z.B. in Hessen, wo meine Familie lebt. Allerdings fahre ich nicht oft, weil ich meistens von einem Fahrer abgeholt werde oder mit dem Zug oder Flugzeug unterwegs bin.

Besitzt du ein eigenes Auto?

Nein, ich habe erst im November letzten Jahres meinen Führerschein gemacht. Ich hatte vorher nie das Geld, und als ich nach London gezogen bin, brauchte ich einfach kein Auto. Zurzeit bin ich ständig am Reisen, aber es wäre schon sehr praktisch, ein Auto zu haben, denn meine Mutter lebt etwas weit draußen auf dem Land.

Hast du aus diesem Grund deinen Führerschein gemacht?

Nein, ich wurde tatsächlich von meiner Mutter, meinem Vater und meinem Stiefvater dazu gezwungen. Ich wollte es nie und habe immer gesagt, dass ich irgendwann so reich bin, dass ich eh einen Fahrer haben werde (lacht).

Planst du denn, dir ein Auto zu kaufen?

Ja, schon, aber ich mache mir wirklich Gedanken, was für ein Auto ich kaufen sollte. Dabei denke ich auch an die Umwelt. Und ich brauche vielleicht auch nur einen Smart, wenn ich eh in den Großstädten unterwegs bin. Oder macht ein größeres Auto Sinn, wie ein SUV, um Equipment, Merge et cetera zu transportieren.

Inwiefern sind deiner Meinung nach Autos noch Statussymbole?

Ich denke, da kommt es extrem auf die Person an. Autos sind immer noch Ausdruck von Individualität und zweifelsohne ein Statussymbol, wenn du als Individuum darauf Wert legst. Ich kenne aber so viele wohlhabende, erfolgreiche und einflussreiche Menschen, die darauf total scheißen und mit dem Fahrrad fahren. Ich glaube, das ist ein Trend, der sich unter der jüngeren Generation verstärkt. Der jüngeren Käufergeneration geht es mittlerweile vielmehr um den Zugang zu Mobilität als um den Besitzvon Mobilität. Dinge wie Uber, Car2Go, E-Scooter sind so relevant geworden, das ist meiner Meinung nach das Zukunftsmodell. Besonders auch, weil die Leute einfach nicht das Geld haben, ein eigenes Auto zu finanzieren, oder es sie nicht interessiert, weil sie in Großstädten leben. Schaust du dir London an mit seinen – wie viel sind’s? – 10 Millionen Einwohnern? (es sind 9,5 Millionen Einwohner in diesem Jahr)Wenn da jeder ein Auto hätte, würde man ja nirgendwo mehr ankommen (lacht).

Was wäre dein absolutes Traumauto, wenn Budget keine Rolle spielen würde?

Also wenn Budget keine Rolle spielt, würde ich natürlich schon ein schickes Auto kaufen (grinst).Unter den Sportautos gefällt mit der Lamborghini Countach extrem gut, er ist so ein Klassiker. Aber auch der neue Lamborghini Huracán und der SUV Urus sind super schön. Wenn es um umweltfreundlichere Autos geht, da finde ich den BMW i8 sehr cool, und wie gesagt ist der Mercedes EQC ein großartiges Auto. Besonders auch wegen des großen Innenraums, ich liebe es, mit vielen Leuten lange Strecken zu fahren. Und Musik hören, ein gutes Soundsystem wäre mir wichtig (grinst).

Wann hast du angefangen, Musik zu machen?

Meinen ersten Text habe ich mit 14 Jahren geschrieben, Musik richtig aufgenommen habe ich mit circa 15–16 Jahren.

Was für Songs hast du damals geschrieben?

Alles. Mir ging es schon immer um die Art, wie ich mich kreativ ausdrücke, um ein Gefühl.

Wie war deine Begegnung mit Tim Westwood?

(lacht)Das erste Mal bin ich ihm vor ganz vielen Jahren in London begegnet, da habe ich noch studiert. Ich habe das Opening auf einer Party gemacht, wo Tim gespielt hat. Das war sehr interessant (grinst).Es gab irgendwelche technischen Probleme, wodurch ich mein Set unterbrechen musste und 15 Minuten meines Gigs – der eh nur insgesamt 30 Minuten lang war – verlor. Aber den Leuten gefiel, was ich machte, sie kamen teilweise wegen mir, obwohl ich noch total unbekannt war. Also sagten Tim und sein Team zu mir: „Nimm dir die Zeit von unserem Set und mach einfach weiter.“Der Promoter beschwerte sich dann aber heftig. Er habe 15 Minuten gezahlt, damit Tim spielt. Ich habe dann aber einfach weitergemacht, bis der Promoter mir den Stecker zog. Das war ziemlich mies, aber Tim lud mich danach zu seiner Show ein. Er ist ein wirklich witziger Typ, ein Charakter eben, ein sehr spezieller (lacht).Er lebt in seiner eigenen Welt und ist zweifelsohne eine Legende. Ich war damals unter seinen Gästen einer der ersten Rapper aus Deutschland.

Wie sähe deine Traumband aus?

Kid Cudi, Sade, Questlove am Schlagzeug, Kanye und Pharrell hinter den Boards (lacht).

Kanye oder auch Solange sind gute Beispiele dafür, wie Musik mit Kunst und anderen Welten fusionieren kann. Glaubst du, dass sich Musiker zukünftig mehr in diese Richtung bewegen werden?

Ich hoffe, denn die meisten Künstler sind absolut scheiße live (lacht). Das ist doch wahr. Natürlich hängt auch viel von dem Publikum und dessen Wissensstand im Bezug auf Performances ab. Auch für mich stellt sich die Frage, wie ich es schaffe, dass meine Show zu einem Erlebnis wird, ab dem Moment des Ticketkaufs. Können wir z.B. den Veranstaltungsort einparfümieren und im Anschluss an die Show Duftkerzen verkaufen, sodass die Leute den Duft mit nach Hause nehmen können. Da der Geruchssinn am engsten mit unserem Gedächtnis zusammen arbeitet, könnte man so das Feeling mitnehmen.Es gibt viele Dinge, an denen wir gerade arbeiten. Je mehr Sinne du berührst,  desto mehr wird deine Kunst zu einer Welt, in die man eintauchen kann, um dieser Welt zu entfliehen. Und das ist ja nicht nur in der Musik so – ich meine, du kannst mittlerweile Elbisch lernen, die haben da eine Sprache für einen Film kreiert, das ist doch Wahnsinn.

Dein Vater kommt aus Nigeria. Bist du manchmal dort?

Ja, aber das letzte Mal, dass ich da war, ist lange her, zu lange. Ich war 16. Ich plane aber wieder hinzufliegen.

Wie hast du Nigeria damals erlebt?

Es war life-changing. Nigeria funktioniert einfach ganz anders als die westliche Welt. Und ich glaube, dass die generelle Zufriedenheit größer ist, man schätzt kleine Dinge viel mehr. Dann das Essen, die Kultur – darüber könnten wir ein ganzes Interview führen.

Hat die Reise dich auch musikalisch beeinflusst?

Ich habe während der Zeit schon Musik gemacht und war dort auch im Studio, aber mein Faible für Afro-Beats habe ich eigentlich erst entdeckt, als ich mit 19 Jahren nach London gezogen bin.

Nicht nur die Musik, sondern auch das Kino und die Mode sind gerade geprägt von einer  „Black Revolution“. Warum glaubst du sind wir jetzt (erst) offen und bereit dafür?

Weil es endlich statistisch und monetär erfasst und anerkannt wurde, dass Hip-Hop und Black Culture das „coolste Ding“ in der Jugend und in der Leit- und Popkultur ist.

Hip-Hop hat mittlerweile Rockmusik verkaufstechnisch offiziell überholt. „Black Culture is thething.“ Und dabei geht es nicht darum, weiße Menschen auszuschließen. Es geht um Ästhetiken, Klänge und Ausdrucksweisen der schwarzen Community. Zum anderen glaube ich, hat es auch viel mit dem Internet zu tun. Gatekeeper verschwinden, die Menschen gehen direkt zu der Quelle. Einige der größten Stars auf dieser Welt sind schwarz. Und selbst in der Mode hat es Virgil Abloh zum Kreativdirektor von Louis Vuitton geschafft. Ikonen wie Dapper Dan, die damals noch für ihre Arbeit verklagt wurden, bekommen jetzt erst – 30 Jahre später – Anerkennung für ihr Schaffen. Erst jetzt bekommt ein Gucci-Mane eine Kollab mit Gucci (lacht). Auch wenn ich kein Fan bin von diesem ganzen „Cultural Appropriation Shaming-Ding“, wäre es schön, wenn die Menschen, die diese Kultur erschaffen haben, genauso viel Liebe, Anerkennung und Respekt erfahren wie die Akteure, die sie verbreiten.

Steckt hinter der Diversität in der Mode nicht meist lediglich das Ziel des Verkaufens?

Ich werde oft zu Kampagnen-Meetings eingeladen, in denen es um Diversity und Zugehörigkeit geht, mit dem Ziel, Projekte und Panel Talk zu initiieren. Es ist schön, dass man mich dabeihaben möchte. Aber wie ist es möglich, dass in genau diesen Teams keine einzige Frau, keine Schwarzen, keine Person anderer Sexualität sitzt? Wenn sie Diversität wollen, warum fangen sie nicht in ihrem Business an? Alles, was ich sehe, sind weiße, heterosexuelle Männer. Ich sage nicht, dass sie das Problem sind, es geht hier vielmehr um eine fehlende Perspektive auf das Leben. Es hilft nicht, Quoten zu etablieren, um eine Gleichberechtigung künstlich zu erzwingen, wenn man den Minderheiten weder zuhört noch versucht, sie zu verstehen. Diese Fauxpas in der Modewelt entstehen ja erst durch die Tatsache, dass man Ästhetiken einer Minderheit benutzt, um ein Produkt zu verkaufen, ohne dass diese Minderheiten aber überhaupt in der Erschaffung und Kommunikation integriert sind.

Du kollaborierst unter anderen mit Louis Vuitton und Reebok. Was bedeutet Mode für dich?

Es ist einfach ein Teil von mir, aber nichts, wofür ich kriminell werden würde.

Wofür würdest du kriminell werden?

(lacht und singt) „What you won’t do, to do for love.“ Ich denke, Mode ist Teil des Ausdrucks eines Individuums. Selbst wenn du sagst, dass du überhaupt keinen Wert auf Mode und auf dein äußeres Erscheinungsbild legst, gibt es einen Grund, warum du eine gewisse Farbe an einem gewissen Tag trägst. Deine Garderobe ist Teil deiner Persönlichkeit. Auch mein Vater war immer super stylish, sein Interesse an Mode habe ich wohl von ihm.

War dein Vater auch ein Künstler?

Nein, ich bin der erste Künstler in meiner Familie. Als ich damals richtig pleite war, sah ich trotzdem verdammt cool aus. Neue Looks zu kreieren war für mich ein Fliehen vor dem Gefühl, pleite zu sein. Ich wollte mich einfach gut fühlen.

Inwieweit würdest du sagen, hat dich dein schneller Erfolg verändert?

So schnell war mein Erfolg gar nicht, ich mache seit zehn Jahren Musik. Ich glaube trotzdem, dass ich am absoluten Anfang meiner Karriere stehe. Ich betrachte mich nicht nur als Rapper, weil ich nicht nur im Musikbusiness aktiv bin, sondern z.B. auch in der Mode- und Tech-Industrie.

In der Tech-Industrie?

Ja, wir lösen mit meiner Community TBHG grundlegende Probleme mit Technologien. Und wir entwickeln gerade Apps für das Community-Management von TBHG. Wir haben Voting-Tools, mit denen Mitglieder abstimmen können, in welcher Stadt ich spielen soll. Es ist wichtig, über den Tellerrand zu schauen.

Was ist die Vision hinter deinem Record Label und Community „Triple Black Heart Gang“ (TBHG)?

Die Mission von TBHG ist Bildung, Inklusivität, Positivität, Selbstliebe. Zu lernen allein zu sein und damit umzugehen, besonders in Anbetracht der steigenden Depressions- und Selbstmordraten. Die Menschen haben z.B. Angst, alleine auf Konzerte zu gehen. Mit TBHG geben wir ihnen die Plattform um sich zu connecten. Vor jedem Konzert bieten wir ihnen die Möglichkeit eines Treffens. Dadurch haben viele Mitglieder wertvolle Freunde gewonnen. Genau das ist die Mission meiner Musik: Menschen zu verbinden.

Einsamkeit ist zu einem großen Problem geworden in unserer Gesellschaft, besonders auch durch Instagram. Dort bist du sehr aktiv. Gibt es Momente, wo dich der ganze Social-Media-Wahnsinn runterzieht?

Auf jeden Fall, ich bin nicht Superman, aber mit 25 Jahren bin ich älter als der Durchschnitt der Userbase solcher Apps. Ein 12-jähriger Teenager macht sich nicht regelmäßig bewusst, dass er auf Instagram nicht die Realität sieht. 12-jährige Mädchen und Jungs definieren ihre Wertehaltungen, ihren Selbstwert und ihre Position in der Gesellschaft über Follower-Zahlen oder Kommentare. Das kreiert einen Beliebtheitswettbewerb. Sie sehen, welcher Inhalt funktioniert, und beginnen, ihre Posts und Captions anzupassen. Das ist doch total abgefuckt, denn da sitzen Kinder, die sehen, dass sie mehr Likes bekommen, wenn sie mehr Haut zeigen. Hinzu kommt der manipulative Einfluss von Politikern und Massenmedien, Fake News und selbst die Tatsache, dass Morde passieren, ausgelöst von Gerüchten in den Sozialen Medien. Wir schauen uns nur die Inhalte an, die wir sehen möchten, ohne mit Ansichten oder gar Fakten konfrontiert zu werden, die unsere Meinung widerlegen. Daraus entsteht eine Schleife von Bestätigungsfehler, das ist extrem gefährlich. Schauen wir uns doch an, was im Osten Deutschlands mit der AfD passiert ist. Soziale Medien haben ein langes sozioökonomisches Problem verstärkt. Wir brauchen hier eine regulierende Gesetzgebung!

In deinen Songtexten geht es um viele Themen, die eher untypisch sind für den zeitgenössischen Hip-Hop. Wie würdest du deine moderne Vision auf Hip-Hop beschreiben?

Ich denke, es ist Kern des Hip-Hops, den Status quo infrage zu stellen und die Gesellschaft zu kritisieren. Aber es gibt eine gewisse Erfolgsgeschichte, die die Leute kopieren und nach außen in die Gesellschaft tragen. Ich glaube trotzdem, dass ich mit dem, was ich repräsentiere, nicht allein bin.

Siehst du eine soziale Verantwortung in deiner Arbeit?

Ich bekommen diese Frage sehr oft gestellt und ich schaue mir auch an, was andere Künstler zu dieser Thematik sagen. Oft stelle ich dann fest, dass sie eine sehr selektive Wahrnehmung ihrer Verantwortung besitzen. Ihren Einfluss halten sie für besonders groß, wenn es zu Anzeigendeals und Brand-Partnerschaften kommt. Du kannst aber diese zwei Perspektiven nicht trennen (grinst). Ich glaube, die Frage ist vielmehr, ob du die soziale Verantwortung leugnest oder akzeptierst. Das gilt für jede Person des öffentlichen Lebens. Ich bin mir dem Einfluss meiner Arbeit und meinen Alben sehr bewusst. Das empfinde ich als sehr wichtig. Es kontaktierte mich bis jetzt niemand, der erzählte, dass seine Freundin sich umgebracht hat, nachdem sie meine Songs hörte.

Aber umgekehrt? Das jemand sich wegen deinen Songs nicht umgebracht hat?

Ja absolut, solche Nachrichten bekomme ich öfters. Das ist wirklich das schönste Feedback, das ich auf meine Arbeit bekommen könnte.

Interview SINA BRAETZ

Fotos DAVID FISCHER

Haare & Make-up PATRICIA HECK @ NINAKLEIN

Fotoassistenz ANDREAS KNAUB

Stylingassistenz JOHANNA LOER

Auto MERCEDES-BENZ EQC

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