Kode9

Der Designer Ken Okuyama entwarf die Kultsportwagen der letzten Jahrzehnte, von Ferrari über Porsche bis hin zur Corvette. Dann hat er alles aufgegeben, um sich seinen Kindheitstraum zu erfüllen.

Nur “erwachsene Kinder” können das Konzept eines kleineren Sportwagens, das im Atelier von Ken Okuyama entworfen wurde, verstehen und es gebührend schätzen. In seinen Entwurf floss die kindliche Begeisterung ein, die sich mit der Zeit zu einer beruflichen Laufbahn und einem Lebenswerk entwickelte. Ken Okuyama arbeitete in den Jahren der Entwicklung des Supersportwagens Ferrari Enzo (des einzigen, der den Namen des Markengründers trägt) als Design Director bei Pininfarina. Er beteiligte sich aber auch an weiteren großen Projekten, wie der Corvette C5, dem Porsche 911 und dem Boxster oder dem Honda Acura NSX. Alle diese Fahrzeuge haben in der Design-Ge- schichte ihren Abdruck hinterlassen und sind zu begehrten Objekten eines jeden Autosammlers geworden. Vor einigen Jahren kam Ken Okuyama zu dem Entschluss, die Arbeit bei Pininfarina aufzugeben und sich vollständig seinen eigenen Projekten zu widmen.

Die Bandbreite seiner Entwürfe reicht seitdem von Kleinserien-Rennautos und Sportfahrzeugen über das Design einer Brillenkollektion oder von Arm- banduhren bis hin zu einem futuristischen Hochgeschwindigkeitszug für die japanische Eisenbahn. Das Treffen zwischen INTERSECTION und dem Desi- gner fand zu einem sehr spannenden Zeitpunkt statt: An genau diesem Tag kam seine Kreation Kode9 – einige Monate davor Star der Motorshow in Tokio – erstmals auf die japanischen Straßen. Der Kode9 ist ein leichter Sportwa- gen, der schon den Übergang zu einem Rennfahrzeug markiert. Für seinen Entwurf wählte Ken Okuyama einen unerwarteten Ansatz, der – so könnte man meinen – dem gegenwärtigen Trend widerspricht. Die an den Radkästen ausladenden Kotflügel laufen zugespitzt zusammen hin zur Radachse und bilden dabei einen visuell interessanten Körper. Trotz seiner aufregenden Keilform bildet das Fahrzeugprofil ein Fließheck mit schräger Hecklinie. Das ganze Erscheinungsbild des Kode9 trotzt etwas unerwartet den in der letzten Zeit vorherrschenden Designtrends, die mehr auf Aggressivität setzen. Die Frontpartie zeigt ein freundliches Antlitz, sodass man fast mit dem Fahrzeug ins Gespräch kommen möchte. Das Heck schließt mit einer schlichten, in der Form eines umgedrehten V gestalteten LED-Optik ab. Es wird schnell deutlich, dass dieses Fahrzeug einen Anspruch auf seine eigene Meinung erhebt und auch den dazu passenden Charakter hat.

Diese Einfachheit hat ihren Ursprung in Kens Kindheitserlebnissen. Er liebt die Rennfahrzeuge der 60er- und 70er-Jahre. Die nostalgischen Bilder aus diesen Zeiten hatten sicherlich auch Einfluss auf den Kode9. Bevor Ken sein Designstudio in Japan gründete, lebte er 12 Jahre in Italien. Sein Haus in Turin erinnerte ihn an die Zeit seiner Kindheit, als er noch im Hof spielte und neben ihm Hennen und Kaninchen herumliefen. Er kehrte zurück nach Japan mit dem Wunsch, seine Identität im japanischen Design zu verankern.

Okuyamas Design spiegelt seine internationalen Lebenserfahrungen wider, die sich unter dem Einfluss japanischer und italienischer Kultur formten.

Egal, wohin Ken geht, er hat immer sein Notizbuch für Skizzen dabei, um jederzeit alles festzuhalten, was ihm auffällt. Er setzt sich intensiv mit sei- nen Ideen auseinander und gestaltet sie im Laufe der Zeit kontinuierlich aus. Er strebt nach Einfachheit, versucht aber dabei nicht, Abschweifungen zu vermeiden. „Der Überfluss bietet Raum für Verbesserungen“, sagt Ken. Das zeigt sich auch in der Gestaltung des Kode9. Rundungen und weiche Linien verwandeln sich kaum merkbar zu Geraden. Das Erscheinungsbild des Wa- gens wandelt sich mit der Perspektive, aus der ihn der Beobachter betrachtet.

Die roten Akzente an den Rückspiegeln, entlang der Sportstreifen auf der Haube und im Innenraum haben denselben besonderen Farbton, der bereits kürzlich bei der Entwicklung des „Komachi“ von Okuyama verwendet wurde. „Komachi“ nennt sich die neue, von ihm für die japanische Eisenbahn ent- worfene Baureihe des Hochgeschwindigkeitszuges Shinkansen.

Der Kode9 soll lediglich in zwanzig Exemplaren gebaut werden. Ken möchte, dass seinen Wagen nur diejenigen in die Hände bekommen, die ihn auch wirklich zu schätzen wissen. Er wird dieses Auto aber auch dann produzieren, wenn sich nicht sofort genügend Interessenten finden. Oku- yama ist der Überzeugung, dass es notwendig ist, sich mutig nach vorne zu bewegen, wenn etwas wirklich gefällt. Der Designer erprobt sich selbst in der Rolle eines Tiefseefisches, der andere durch sein Leuchten anzieht. „Es ist ein wahrer Traumwagen, an dessen Steuer man auf einer normalen Straße fahren kann. Die Verwirklichung eines Kindheitstraumes.“

 

Herr Okuyama, Sie haben in den letzten Jahrzehnten das Aussehen der Sportwagen sehr stark geprägt, indem Sie das Design vieler bekannter Modelle entwickelten. Warum haben Sie sich am Ende dafür entschieden, das alles aufzugeben und sich den Entwürfen von Kleinserienwagen zu widmen?

Ken Okuyama: Es befriedigt mich nicht mehr, am Design von Sportfahrzeu- gen für andere Unternehmen zu arbeiten. Wenn man sich mit den eigenen Projekten beschäftigt, sind die Anforderungen an die Technik, die Herstel- lung, ja sogar an die finanziellen Aspekte höher, und dieser Prozess bringt wesentlich mehr Freude. Ich bewundere Gordon Murray, der sich mit Hinga- be vollständig dem Projekt MacLaren F1 widmete. Und mein Ziel? Ich möchte eines Tages ein so guter Designer werden, wie er es war. Ich bin immer noch nicht mit meiner Arbeit der vergangenen Jahre zufrieden.

Man hat den Eindruck, dass es für die Menschen in der letzten Zeit immer unwichtiger wird, wie ihr Fahrzeug aussieht, was es kann und sogar wie es

heißt. Wird das Auto bald zu einem alltäglichen technischen Gebrauchsge- genstand, wie zum Beispiel ein Kühlschrank oder ein Staubsauger? In früheren Zeiten waren Pferde einfach nur ein Verkehrsmittel und jetzt sind sie zum Hobby, zu einer Sportart, ja zur Leidenschaft geworden. Wenn die öffentlichen Verkehrsmittel und alle automatisch gesteuerten Fahrzeuge eines Tages in der Mehrzahl sind, wird der private Sportwagen … noch priva- ter werden. Aber übrigens, Dyson produziert fantastische Staubsauger.

Wie ändert sich der Verkehr in der nächsten Zukunft?

Ich rechne mit automatisch gesteuerten Taxis und Kleinbussen, die sich mit- hilfe von Brennstoffzellen bewegen werden. Diese Fahrzeuge wird man über Smartphones in jeden Winkel der Stadt rufen können. Na ja, und für manche Leute bleiben Autos nach wie vor ein beliebtes Spielzeug in ihren Privatgara- gen. Es wird aber sicherlich noch teurer als heute werden, sie zu halten.

Text: Fuyuko Mochizuki Interview: Oleg Djatschenko Fotos: John Dk Dieser Beitrag erschien in INTERSECTION Nr. 01/2015.  

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