VIRGIN COLADA AM BABY POOL

KREUZFAHRT VERSPRICHT ESKAPISMUS, SAHNE-COCKTAILS UND GUTE LAUNE. JEFFREY MILSTEINS BILDER ZEIGEN DEN GANZEN HORROR IN 80-MEGAPIXEL.

Kreuzfahrt ist ein merkwürdiges Wort. Es klingt nach Kreuzzug, Kreuzigung, nach Blut und Tränen. Dabei gehts es ja um Fun, um Eskapismus in eine sorgenlose Welt, in der einem jeder Wunsch von den Lippen abgelesen und ein schlechte Laune sanktionierendes Regime straff organisierter Animateure waltet. Wäre Kreuzfahrt ein Cocktail, er würde nach Sahne, Ananas und Blue Curaçao schmecken. Kurze Recherche, den Drink gib es wirklich. Er heißt Baby Pool, ohne Curaçao schlicht Virgin Colada. Was wiederum nach sorgenfreier Jugend klingt. Kreuzfahrt, das ist also der Blick des gut situierten Pensionärs auf eine Welt, die er spätestens nach gut drei solcher Virgin Coladas auf dem Sonnendeck für exotisch hält. In der die Menschen noch nach ihren Grundbedürfnissen leben: der Animateur aus dem Schwellenland, der phillipinische Gastarbeiter am Buffet, der lustige Indio am Marktstand von Valparaiso.

Der Fotograf Jeffrey Milstein ist bekannt durch seine extrem formalisierten Stills von landenden Flugzeugen und eine Serie von Fotos, die Amerika aus der Vogelpespektive als ein sich ewig wiederholender Logarithmus standardisierter Fertighäuser zeigen. Nun hat er sich sie Mühe gemacht, tagelang mit einem Hubschrauber über Kreuzfahrschiffen zu kreisen und 80-Megapixel hochauflösende „Portraits“ à la Google Earth zu shooten. Sie heißen: Caribbean Princess Royal, Caribbean Majesty of the Seas, Norwegian Sky, Carnival Victory, Carnival Sensation und Disney Dream. Letztere mit Minigolfplatz (Neun Löcher), 11 Nachtclubs und Lounges und einer Wildwasserbahn namens AquaDuck.

Als Serie sind Jeffrey Milsteins Bilder so beindruckend wie trist. Wie viele Baby Pool’s kann man kippen, wie viele Kreuzworträtsel lösen, Polonaisen mit zuckeln, wie oft sich durch die AquaDuck schießen lassen, bevor einem der Sinn nach Erlösung kommt? Ist so eine Kreuzfahrt in Wahrheit eine Prüfung, eine biblische sogar und der Blick Jeffrey Milsteins der Blick Gottes in 80-Megapixel? Bereitet sie uns auf die Jahre nach der Sinnflut vor, in denen wir auf einer tristen Arche auf dem offenen Meer dahinschippern und uns nach einem vernünftigen Drink sehnen werden? Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass dieses Rätsel erstmal nicht gelöst werden kann.

Macht auch nichts. Auf den Schreck erst mal eine Virgin Colada und zur biblischen Feier des Tages eine Bloody Mary hinterher.

Text: Ruben Donsbach  Fotos: Jeffrey Milstein

Dieser Beitrag ist in INTERSECTION Nr. 3/2015 erschienen.

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