Carl Barât: Liebe, Verrat, Versöhnung

Wenn Carl Barât seinem Freund Peter Doherty nicht verziehen hätte, dann gäbe es The Libertines nicht mehr. Die Band ist aber nicht das einzige Projekt Barâts, der sogar einen Doktortitel hat. 

Als Carl Barât und Peter Doherty kurz nach der Jahrtausendwende The Libertines gründen, ist East London bereit. Die Mischung aus geradem Gitarrensound, intellektueller Aura und schmutzigem Lifestyle machen sie schnell zur englischen It-Band der Nullerjahre. Doch während die Kritik 2002 noch das Debütalbum „Up The Bracket“ feierte, häuften sich die Schlagzeilen über verstörende Ereignisse im Umfeld der Band. Nachdem Doherty in die Wohnung von Barât eingebrochen war, um sich Geld für Drogen zu beschaffen, waren die Libertines an ihrem vorläufigen Ende angekommen.

Es folgten diverse musikalische Solo-Projekte auf beiden Seiten. Barât bewies sein Talent als Film- und Theaterschauspieler sowie als Autor des Buches „Threepenny Memoir: The Lives Of A Libertine“. 2012 wurden seine Verdienste als Künstler von der University of Winchester mit einer Ehrendoktorwürde kanonisiert.

Liebe, Verrat und Versöhnung – The Libertines gäbe es nicht mehr, wenn Carl seinem Freund Peter nicht irgendwann verziehen hätte. Gemeinsam mit John Hassall und Gary Powell kamen sie wieder für Auftritte und Studiosessions zusammen. Auch das 2017 begonnene Projekt eines Bandhauses und Hotels im englischen Küstenort Margate konnte realisiert werden: The Albion Rooms wurden erst kürzlich offiziell eröffnet.

Wenn die Libertines dieser Tage wieder auf Tour gehen wirkt Peter Doherty neben Carl Barât wie ein dehydriertes Gänseblümchen. Auch wenn sich die beiden in puncto Rauscherfahrung zeitweise nicht viel nahmen, so war Barât immer der mit mehr Körperspannung. Heute hat er Familie und chauffiert seine Kinder in einem Audi zum Kindergarten. In dem Wagen erwische ich ihn auch, als ich ihn anrufe. Er ist auf dem Weg zu einer TV-Show und fast ist ihm der A7 ein wenig peinlich.

Den Audi A7, in dem du gerade sitzt, hattest du auch bei unserem Shoot dabei. In welcher Beziehung stehst du zu dem Wagen?

Naja, das Auto ist nicht gerade sexy, aber wenn du Kinder hast, dann sind eben andere Dinge wichtig. Immerhin hat meiner schwarz verblendete Fenster und dicke Felgen.

Immerhin! Wie lange hast du den Wagen schon?

Seit 2014. Habe ich secondhand gekauft. Der Audi ist weder neu, noch ein Oldtimer. Für euch Deutsche ist das kein besonderes Auto, hier in England hat er ein sehr gutes Standing. Aber ich bleibe dabei, sexy ist er nicht.

Naja, so schlimm ist der A7 jetzt auch wieder nicht. Hast du noch ein anderes Auto?

In der Tat! Ich habe noch ein anderes deutsches Auto, ein Golf GTI Cabrio. Ich wette, du würdest ihn lieben! Wir konnten ihn aber für das Shooting nicht benutzen, weil ein paar Hackney-Kids der Meinung waren, mir mein Dach zerstechen zu müssen. Innen riecht er jetzt modrig, weil es reingeregnet hat.

Oh Mann, wie nervig. Naja, du hast ja noch einen Zweitwagen. Den fährst du aber nicht so gern, wenn ich das richtig verstehe, oder?

Der Audi ist eben das Familienauto. Der praktische Teil in mir liebt dieses Auto. Aber er ist kein Statement. Trotzdem fahre ich ihn gern, als ich klein war, hatte mein Onkel einen Audi und ich wollte immer haben.

Ich habe noch nie einen Engländer über praktische Dinge reden gehört. Diese Kategorie existiert bei euch gar nicht, dachte ich. Das ist eigentlich etwas typisch Deutsches.

Hör zu, ich habe deutsches Blut in mir! Meine Uroma ist aus Nürnberg!

Achso, nur die Urgroßmutter!

Genug deutsches Blut für den Audi!

Musstest du eigentlich schon mal deinen Führerschein abgeben?

Ich? Nee, nie! Sorry?!

Hast du dir nichts zuschulden kommen lassen oder hast du dich einfach nicht erwischen lassen?

Ich habe mich nicht erwischen lassen.

Wusste ich es doch. Gibt es Musik, die du besonders gern beim Fahren hörst?

In letzter Zeit habe ich viel Nick Cave gehört, insbesondere auf langen Fahrten. Tom Waits höre ich auch gern. Ziemlich moody, was ich so beim Autofahren höre …

Hörst du manchmal auch deine eigene Musik?

Nein, das Auto ist mein Rückzugsort. In meinem praktischen Auto höre ich praktische Musik.

Nick Cave ist also praktische Musik? Das ist ein ganz neuer Aspekt. Inwiefern ist seine Musik praktisch?

Er ist ein Geschichtenerzähler, nimmt mich mit und ich kann abschalten. Das funktioniert sofort.

"Als die Nachbarschaft mitbekommen hat, dass ich das war, haben sie mir die Scheiben mit Steinen eingeschlagen und den Wagen irgendwann angezündet."

Carl Barât

Ah, verstehe. Du hast es ja durch dein Studio nicht nötig, das Auto als private Kapsel zu benutzen, in der du laut deine Musik hören kannst, richtig? Viele Leute machen das ja, weil sie es Zuhause nicht können.

Also ich mache das auch zu Hause.

Beschweren sich dann nicht die Nachbarn?

Doch, aber ist mir egal. Sie spielen auch laute Musik und keine gute.

Da muss man gegensteuern, verstehe ich. Wie sieht es aus mit weiteren musikalischen Aktivitäten bei dir?

Wir gehen mit den Libertines auf Tour und arbeiten an einem neuen Album. Außerdem arbeite ich an einem Solo-Album.

Wessen Idee war eigentlich die Libertines-Reunion?

Ich würde sagen, das war eine Idee von uns allen. Es gibt da irgendwas zwischen uns. Wir alle möchten dieses Potenzial nicht ungenutzt lassen. Er wäre schade darum.

Gab es mal so etwas wie einen Bandwagen bei euch?

Ja, mein erstes Auto. Den hatte ich 1999 für ganze fünfzig Pfund gekauft, damit wir rumfahren konnte. Ich hatte aber weder einen Führerschein noch Ahnung von Autofahren. Ich habe damit unzählige Auto in Hackney geschrammt. Als die Nachbarschaft mitbekommen hat, dass ich das war, haben sie mir die Scheiben mit Steinen eingeschlagen und den Wagen irgendwann angezündet.

Oh Gott! Krass. Selbstjustiz ist das Stichwort. Ganz schön wild da bei euch. Erinnert mich an den ersten Mai in Berlin.

Mayday.

Ja, Hackney Mayday. Danke dir, Carl!

Danke dir! Bye-bye.

 

 

Text SABINE RÖTHIG
Fotos YAËL TEMMINCK

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