In São Paolo gibt es eine Graffiti-Art namens Pichação. Die Akteure, meist aus den Favelas, sprühen ihre Tags oft in extremer Höhe und vor allem dort, wo es strikt verboten ist. Geht es bei Graffiti nicht letztendlich auch darum, wo man sich platziert?
Oh ja. Ich bin in den frühen 90er-Jahren nach Brasilien gegangen. Graffiti war dort etwas ganz anderes, als wie wir es kannten. Die Kids aus den Favelas haben in ihrer eigenen Typografie ihre Namen auf Gebäude gesprüht. Ich bin dort damals lang gelaufen und habe mich gefragt, wie sie es geschafft haben, auf die Gebäude zu kommen. Bei Graffiti geht es viel um den richtigen Platz, etwa wie ein Surfer den besten Spot suchen muss. Für das Sprayen sucht man sich einen Platz, der gut sichtbar und gefährlich ist, idealerweise in einer Höhe, die das Reinigen schwer macht und bei der die Betrachter wirklich beeindruckt sind.
 
Hast du damals auch auf Autos gesprüht? 
Ich habe viel auf Trucks gesprüht. Allerdings gibt es in der Graffiti-Szene die Regel, dass man keine Tags auf persönliche Dinge wie Autos machen darf. Ich glaube, ein oder zweimal habe ich einen teuren Rolls-Royce besprüht, aber normalerweise hat die Graffiti-Szene eben einen gewissen Respekt vor so etwas. Ich weiß nicht wirklich warum.
 
Welche deiner Aktionen hat dich in deinem Leben in die größte Gefahr gebracht? 
Das war wohl, als ich eine Polizeistation besprüht habe und mich die Polizei dann verfolgte. Aber das gehört zu Graffiti dazu. Ich war an der Spitze der Liste der meist gesuchtesten Graffiti-Sprüher. Einmal habe ich auch die alte Fassade des Pariser Turms „Saint-Jacques“ besprüht. Mein „Mr A“ war 24 Meter hoch, das hat mich viel Zeit gekostet und war gefährlich. Illegale Aktionen haben nun mal Konsequenzen, als Graffiti-Künstler musst du da durch. Ich habe das nun fast 30 Jahre gemacht, mit teils zehn Graffitis am Tag. Gott sei Dank gibt es die rechtliche Verjährung (lacht). Ich wurde oft verurteilt nach meine Aktionen, hatte aber meist Glück. Manchmal musste ich aber auch nach Portugal fliehen.
 
In Lissabon arbeitest du gerade an einem Projekt, bei dem du große Keramikmauern der Stadt bemalst, ein ehrenwerter Auftrag!
Ja, es ist ein wahnsinnig tolles Projekt, denn zum ersten Mal mache ich ein Graffiti, das wohlmöglich für die nächsten 100 Jahre bestehen bleibt.
 
Deine Kunst und auch dein ganzes Auftreten ist immer so wahnsinnig positiv. Glaubst du, dass dich das Reisen geprägt hat?
Reisen macht Spaß, ist aber auch ein sehr gutes Training. Es hat etwas Philosophisches, denn du kannst deine Perspektive und deinen Standpunkt regelmäßig in einem völlig anderen Kontext reflektieren. So kannst du es schaffen, Menschen und Dingen viel positiver und offener zu begegnen. Oft sind unsere eigenen Probleme nichts im Vergleich zu den Problemen anderer.
 
Manchmal ist das Reisen auch eine sehr gute Fluchtmöglichkeit. 
Ja, vielleicht! Manchmal, wenn du an mehreren Problemen zu kauen hast, tut es gut, sich weit von ihnen zu entfernen und für eine kurze Zeit dem Negativen zu entfliehen.
 
Du bist in Schweden geboren und aufgewachsen und mit 10 Jahren mit deinen Eltern nach Paris gezogen, zwei sehr unterschiedliche Regionen. Eines der witzigsten Worte, das ich wohl je gehört habe, ist schwedisch und lautet „Knullkompi“….
Ja, darf ich vorstellen, mein „Fickfreund“ (lacht). Es ist ein völlig normaler Begriff für etwas wie eine Affaire. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich als Kind nach Paris zog, das war wie eine Zeitreise zurück in die Vergangenheit. Die Schulen waren super streng. Ich hatte in Schweden damals schon Sexualerziehung genießen dürfen und war von dieser Offenheit geprägt. Dadurch konnte ich den französischen Kids ziemlich viel erklären und machte so schnell Freunde (lacht). Später lernte ich aber auch die großen Vorteile von Paris kennen, die Architektur, die Filme, die Kunst und Museen – ich fühlte mich sehr wohl in diesem kulturellen Mix. Statt in Parks rumzuhängen und dort zu rauchen ging ich ins Centre Georges Pompidou und entdeckte zeitge- nössische und moderne Künstler.
 
Mittlerweile hast du deine Wohnung in Paris aufgegeben und bist nach New York gezogen. Als wir dich dort besuchten, damals hast du noch gependelt, waren wir sehr beeindruckt von deinem super reduzierten Gepäck. Wie hat das Reisen deinen Kleidungsstil geprägt?
Ich reise sehr minimal, das habe ich gelernt. Ich nehme für gewöhnlich nur Socken, Jeans, T-Shirts, Jacken, ein Buch, meinen Reisepass und Bargeld mit. Mein Kleidungsstil hat sich mehr und mehr auf Basics reduziert, weniger Sachen, die man bügeln muss. T-Shirts und blaue Jeans sind das Beste, was jemals erfunden wurde. Nicht anders reise ich auch momentan. So, jetzt muss ich gleich los zum Flughafen.
 
Nächster Stopp? 
Lissabon und mein Projekt!
 
Vielen Dank, André! 
Habe ich heute gute Arbeit geleistet?
 
Ja, dafür dass du das hier alles zum ersten Mal gemacht hast. (lacht)
 
 
Produktion und Interview: Sina Braetz
Fotos: Stefan Armbruster