Car tire painting

Studiobesuch bei einem, der über die Ästhetik hinaus geht: Mike Meiré.

Mike tränkt einen Reifen in Farbe. Innerhalb von Sekunden verwandelt sich Ruhe in Chaos. Er wirft den tropfenden Reifen auf eine ausgelegte Leinwand; die Rillen des Reifens hinterlassen ihre Spur. Das Pechschwarz frisst sich aggressiv in die farbenfrohe Leinwand. Die Bewegungen, um das Werk zu kreieren, erfordern Kraft. Dennoch fallen die hinterlassenen Spuren manchmal nur fragmentiert, schwach und zart aus. Nicht immer bekommt man das, was man reinsteckt, am Ende auch wieder heraus.

Mike Meiré ist vieles. Gelangweilt gehört nicht dazu. Meiré ist Künstler, Designer, Art Director und Kurator, sowie auch Gründer seiner eigenen Kreativagentur „Meiré und Meiré“. Zu seinen Kunden zählt er Namen wie BMW, Interview Magazine, Mini Cooper, 032c, Numéro Berlin und Audemars Piguet. Führende Schöpfer und Tastemaker der Luxusbranche richten ihren Blick auf Mike, um ihren Platz und ihre Relevanz in einer schnelllebigen Welt zu halten. Mike ist gesegnet mit vielen Passionen, zahlreichen Möglichkeiten und einiges an explosiver Kreativität und Freiheit. Eine seiner größten Inspirationen sind Autos, wie sich in seiner aktuellen Ausstellung DANCING PROTESTING WAITING AND WORKING in Köln zeigt. Intersection spricht mit Mike darüber, wie er seine Zeit im Lockdown verbracht hat (abgesehen von fliegenden Reifen auf Wände, um zu sehen, was davon hängenbleibt), den Zusammenhang zwischen Autos und Freiheit und mit welchem Künstler er gerne durch seine eigene Ausstellung gehen würde.

Autos sind wie Musik – sie bekommen im Laufe der Jahre einen sehr persönlichen Wert.

Mike, wir müssen wohl mit der uralten Frage des Jahres 2020 starten. Ich bin mir sicher, diese Frage wird auch weiterhin fabelhaft in die Jahre kommen. Was hast du dir in der Quarantäne  angehört und angesehen, was hast du gekocht und gegessen? Worum geht es dir in dieser Zeit der Neugier? Wohin verlaufen sich deine Gedanken?

Meine Ohren wahren eher in spirituellen Sphären unterwegs; Lärm, Drohnen und zwischendurch DAF und Einstürzende Neubauten. Immer etwas, das meinen Kopf beruhigt und meinen Körper aufweckt. Während des ganzen Wahl-Wahnsinns in den USA habe ich Vatican Shadow für mich entdeckt. Ich würde es als einen Mix aus politischer Metaphorik und hartem Techno bezeichnen. In meinem Arbeitsalltag verarbeite ich bereits Tonnen an Informationen, deswegen lese ich privat nur noch Buchumschläge und Titel von Kunstwerken. (Meine Frau) Michelle ist die beste Köchin, die ich kenne, und sie hat nun Jerk Chicken für sich entdeckt, ein scharfes afrikanisches Gericht.

So richtig gespannt bin ich nur, wie viel mehr Zeit wir uns selbst noch geben, bis wir endlich veraltete Gewohnheiten loslassen können. Wie lange brauchen wir noch, um uns von dem zu lösen, was wir jahrelang kultiviert haben, um endlich die nächste Stufe zu erreichen?

Was ist in dieser Generation radikal? Was ist die heutige Gegenbewegung?

Wer ist denn überhaupt diese Generation? Alphas, Gen Z, Millennials, Baby Boomers, Silver Surfers…schwarz, weiß, gelb, grün…ich habe langsam genug von all diesen Definitionen. Es ist ohnehin eine Illusion zu glauben, wir könnten irgendetwas kontrollieren. Einen Scheiß können wir! Money talks, bullshit walks. Es werden immer noch zu viele politische Machtspielchen ausgetragen. Es ist dennoch wichtig zu handeln! Solange alle immer noch damit beschäftigt sind, etwas ganz besonderes sein zu wollen, ist es wohl das radikalste das Ganze einfach mit Humor zu nehmen.

Welche Augenblicke und Erinnerungen verbindest du mit Autos?

Ich glaube der einprägsamste Moment war wohl 1999, als ich meinen 911er gegen einen Khmer Head eingetauscht habe.

Was symbolisieren Autos für dich? Hat sich das über die Jahre geändert, wo man nun mehr über Kohlenstoffe und Emissionen weiß?

Autos gehören in jedem Fall zu einer Fankultur, die untrennbar mit einer romantischen Vorstellung von Freiheit und Abenteuer verbunden ist. Autos sind wie Musik – sie bekommen im Laufe der Jahre einen sehr persönlichen Wert. Und plötzlich gibt es nun, quasi über Nacht, diese heftigen Diskussionen über Mobilität und eine gesamte Industrie geht in Flammen auf. Meinungen über die Daseinsberechtigung des Autos selbst gehen auseinander – diese Thematik zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist unglaublich faszinierend. Derzeit steht das Auto für eine Parallelität, die uns auch Flugzeuge vorführen. Ob es nun auf Demonstrationen brennt oder makellos auf Instagram präsentiert wird: Das Auto dient immer als Alter Ego des Menschen. Es ist ein Bild, das immer funktioniert und bewegt. Technologie, die als Errungenschaft der Moderne gilt, steht zusätzlich für dieses „vorrausschende“.

„Das Auto dient immer als Alter Ego des Menschen.“

Autos (und ihre Einzelteile) stehen im Vordergrund deiner aktuellen Ausstellung DANCING PROTESTING WAITING AND WORKING in der Galerie Ruttkowski;68 in Köln. Steckt in den Werken auch eine Metaphorik oder wurden sie für das visuelle Vergnügen geschaffen?

Ich verfolge den Grundsatz Ästhetik für Substanz. Die Formel beschreibt meine Art zu Arbeiten ganz gut. In meiner Kunst sehe ich mich selbst als Filter für die Welt. Ich weiß, wie Ästhetik funktioniert und welche Regeln man einhalten muss, damit Dinge so oder so aussehen. Ich versuche aber komplexer zu arbeiten und über die Grundanforderungen der Ästhetik hinaus zu denken. Was sind die wesentlichen Themen, die mich in meinem Leben beschäftigen? Mit der Zeit ändert sich das. Im moment erleben wir eine Stimmung des Protests, die sich gegen viele systemrelevante Themen richtet.

Für die Ausstellung in der Ruttkowski;68 habe ich den Titel DANCING PROTESTING WAITING AND WORKING in dieser typischen dreidimensionalen Firmenschrift (die man auch von vielen Automarken kennt) am Eingang der Galerie angebracht. Davor steht ein blitzblankes, weißes Fundament mit einer Glasvitrine, in der eine korrodierte Benzinkanne von SHELL zu sehen ist. Die Farbe ist ab, der Rost spricht für sich selbst. Die Arbeit sieht trotzdem elegant aus. In diesem Fall kann der Kanister metaphorisch für eine Industrie stehen, die sich selbst neu erfinden muss.

Bringst du gerne Chaos in die Ordnung, oder bringst du lieber Ordnung ins Chaos?

Eines der für mich interessantesten übergeordneten Konzepte ist das Zusammenspiel von Kontrolle und dessen Verlust. Aus jeweils beidem entsteht eine völlig andere Ästhetik. Ich verehre beide. Kunst zu kreieren hat viel damit zu tun, Dinge in ihre Ordnung zu bringen. Im Kern geht es sowohl im Leben, als auch in der Kunst um Ordnung … arrangieren und umrangieren, Sinn stiften, Schönheit finden…

Wie erreichst du dein persönliches Glück? Hält so etwas überhaupt?

Wenn du glücklich sein willst, musst du dir glückliche Gefühle aussuchen. Das Leben ist eine Entscheidung. Genauso wie Glückseligkeit.

Ich stelle mir vor, wie John Chamberlain und Christopher Wool durch deine Ausstellung gehen: Wo würde das Gespräch hinführen? Welchem Künstler (tot oder lebendig) würdest du eine persönliche Führung durch deine Arbeiten geben wollen? Und in welchem Auto würdet ihr beide zur Galerie fahren?

Das wäre tatsächlich eine interessante Unterhaltung. Beide begannen ihre Kunst im Industriezeitalter. Das Denken und Handeln in unserem heutigen Zeitalter der Informationen bringt mehr denn je unsere unterbewusst gespeicherten Verhaltensmuster und Eindrücke zum Vorschein. Ich fungiere als Schwelle, an der die Vergangenheit weitergegeben und von der Gegenwart neu geformt wird. Ich betrachte die Leinwand als Aktionsfeld, ihre Fläche als eine Arena: Was dann passiert, ist kein Bild, sondern ein Ereignis meines Geistes, meiner Energie und der Materialien. Der Akt des Malens im Allgemeinen ist untrennbar mit unserer eignen Biographie verbunden. Ich bemühe mich ein Gleichgewicht zwischen Reduktion und euphorischer Geste basierend auf meinen Gewohnheiten, meinen Ritualen und meinem Hang zur Perfektion zu finden – und der Akzeptanz zu scheitern und damit fertig zu werden.

Vielleicht ist das etwas, was wir teilen, John, Chris und ich! Aber das ist eine Jungssache. Ich würde lieber mit einer Frau wie (die amerikanische abstrakten Malerin) Joan Mitchell durch meine Ausstellung gehen und dann hören, was sie zu all dem sagt. Und natürlich würden wir mit meiner DODGE Hellcat, V-8, 6.000 PS in Vantablack vorfahren.

 

Interview: Janna Shaw
Bilder: courtesy to the artist

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