Die Schreyer-Story

Er gilt als einer der bedeutendsten Automobildesigner unserer Zeit: Peter Schreyer hat die deutsche Automobilbranche geprägt wie kaum ein anderer und in den letzten zwölf Jahren die Marke Kia neu erfunden. Eine Karriere in zwei Akten.

Peter Schreyer / Foto: Hannes Magerstaedt

Zuerst: Ein Vierteljahrhundert Volkswagen-Konzern. Man muss sich die Überraschung in den Wolfsburger Chefetagen und bei dem Rest der Branche vorstellen, als der Schöpfer des New Beetle und des Audi TT seinen Posten als Leiter des Advanced Designs von VW an den Nagel hängte, um zu einer koreanischen Marke zu wechseln, die bis dahin nicht unbedingt durch Designpreise aufgefallen war – Kia.

Schreyer, gebürtiger Bayer, war 1980 nach seinem Industriedesign- Studium und einem Jahr Transportation Design am renommierten Royal College of Art in London direkt zu Volkswagen gegangen. Danach ging es an das Audi Volkswagen Advanced Design Centre im kalifornischen Simi Valley, wo Schreyer 1991 unter anderem an der Audi-Studie Quattro Spyder arbeitete.

Audi TT 1998: Mit dem TT wurde Audi zur Designmarke / Photo: Audi

Ab 1994 entstanden unter Schreyers Leitung bei Audi Design mutige und polarisierende Meilensteine wie der Audi TT und der Audi A2, die beide die Wahrnehmung der Marke auf Jahre prägen sollten. Mit seiner minimalistischen Sachlichkeit war gerade der kleine Sportwagen mit den aufgesetzt wirkenden Radhäusern der Startschuß für den Imagewandel Audis hin zur Designmarke. Ab 2002 leitet Schreyer schließlich das Volkswagen Konzerndesign, bis es im September 2006 zum für viele unerwarteten Abschied von seinem jahrzehntelangen Arbeitgeber kommt. Schreyer selbst kommentierte die Entscheidung für seine Verhältnisse gerade zu prosaisch: 

„Für mich gleicht die Aufgabe bei Kia einer Einladung, über weißen Schnee zu fahren und Spuren zu hinterlassen“.

So beginnt der zweite Abschnitt in Schreyers Karriere mit einem leeren Blatt Papier. Ein Luxus und ein Privileg, das in ihrem Leben nur wenigen Autodesignern zuteil wird. Eine Marke ohne historischen Ballast, mit dem Willen und dem Mut, sich in die Hände eines in Europa gefeierten Designers zu begeben. Im Wochentakt fliegt er nun ins Designzentrum im südkoreanischen Namyang und in die regionalen Designbüros in Frankfurt am Main, Seoul und im kalifornischen Irvine, während er die Wochenenden daheim in Ingolstadt verbringt.

Kia Kee 2007: Das neue Markengesicht mit der Tiger Nose / Photo: Kia

Schon ein Jahr später präsentiert er auf der IAA mit dem Sportcoupé Kia Kee die künftige Design-Orientierung und das neue Markengesicht der Koreaner, den „Tiger Nose“ genannten Kühlergrill mit Doppeltrapezstruktur. Die 200 PS starke Kee-Studie stellte die Wahrnehmung Kias als biedere Vernunftkaufentscheidung auf den Kopf. „Der neue Kia Kee ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Marke Kia in Zukunft ganz neue Kundengruppen ansprechen und überraschen wird“, so der frischgebackene Chefdesigner damals. Gesagt, getan. 2008 steht mit dem Kia Soul ein urban-cooler Minivan beim Händler, den man noch kurz zuvor den Koreanern so nicht zugetraut hätte.

Während die Absatzzahlen bei Kia in die Höhe schnellen, arbeitet sich Schreyer über mehrer Jahre und Designstudien hinweg an ein viertüriges Sport-Coupé hin. Als Zwischenstand wird 2011 mit der Kia GT Studie eine luxuriöse Sportlimousine mit einem 395 PS starkem 3,3 Liter-Turbo-Benziner präsentiert. Coupéhafte Silhouette, lange Motorhaube und steil abfallendes Heck – ein geradezu prophetischer Ausblick auf den seit 2017 in Serie gebauten Kia Stinger.

Kia GT 2011: Schritt für Schritt zum Stinger / Photo: Kia

Vielmehr als vielleicht der alte Arbeitgeber in Deutschland scheinen die Koreaner bereit, Schreyers Verdienste um den Erfolg des Unternehmens zu würdigen. 2013 steigt er als erster Ausländer zu einem von drei Präsidenten des Familienunternehmens Kia auf. Für einen Designer in der ingenieurgetrieben Automobilbranche ein immer noch ungewöhnlicher Karriereweg, das weiß auch Schreyer: „Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Designer mit an vorderster Front dabei sind“. Viele in der Branche würden dazu neigen, die Bedeutung des Designs für den Erfolg einer Automarke zu unterschätzen. Kurz darauf übernimmt er auch die Verantwortung für die Designbüros der kompletten Hyundai Kia Automotive Group und entwickelt die Philosophie und Markenidentität der Marken Hyundai und Kia weiter. Während das Design von Hyundai mit fließenden Formen eher naturinspiriert ist, stellen sich die Kia-Modelle mit strukturierterem Design technikgetriebener dar.

Am Erfolg des neuen Kia-Designs lassen auch die Absatzzahlen keinen Zweifel. In Deutschland erzielten die Koreaner letztes Jahr den dritten Absatzrekord in Folge und verkauften rund 65.000 Fahrzeuge – ein Plus von 75 Prozent seit 2010. Weltweit ist die Hyundai Kia Automotive Group zum mittlerweile fünftgrößten Automobilhersteller geworden. Eine Punktlandung für den Designer aus Bayern. Rückblickend kommentierte VW-Patriarch Ferdinand Piëch den Abgang Schreyers ungewohnt deutlich: „Ihn hätten wir nicht gehen lassen sollen.“

Text: Alexander Batke-Lachmann

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