LEBEN 3.0

Vom autonomen Fahren bis zum virtuellen Assistenten: Das Sci-Fi-Thema künstliche Intelligenz kommt Stück für Stück in unserem Alltag an. Doch was könnte KI in Zukunft für unser Leben bedeuten?

Eine der spektakulärsten Entwicklungen in den letzten 13.8 Milliarden Jahren seit dem Urknall ist, dass sich Materie in intelligentes Leben verwandelte. In den letzten zwei Jahrzehnten fand eine rapide Revolution in den Computerwissenschaften statt. Heutzutage ist deutlich sichtbar, wie schnell Computerprogramme dazulernen und unseren Alltag verändern. Gesichtserkennung, Übersetzungspro- gramme oder selbstfahrende Autos sind nur der Anfang der Möglichkeiten. Seitdem Computer in der Mitte des letzten Jahrhunderts Einzug in unser Leben fanden, steigert sich stetig die Digitalisierung. Statt numerische Kalkulatoren, sind diese Maschinen heute elementare Datenbanken und zentral für den Austausch von Informationen.

Laut Experten wird in den kommenden 100 Jahren ein drastischer Wandel in der Gesellschaft prognostiziert durch die Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI). Ob es uns in ein Zeitalter ungeahnter technischer Möglichkeiten verhilft, wie digitale Utopisten glauben oder uns in die dunkelsten Dystopien wirft, wissen nicht mal die KI- Experten. Einigkeit herrscht aber in einem Punkt: Wir müssen uns vor der Entwicklung der nächsten Evolutionsstufe dem Thema stellen, sich mit möglichen Szenarien und mit Vorsichtsmaßnahmen auseinandersetzen.

Mit Sicherheit ist vorhersehbar, dass Künstliche Intelligenz uns eines Tages an Logik und Wissen übertrifft. Doch wie sieht es mit den rein menschlichen Eigenschaften aus: Empathie, emotionale Intelligenz und Gefühle, wie Liebe, Trauer oder Glück? Eigenschaften, die man momentan Robotern und Maschinen nicht zuschreibt. Visionen von Cyborgs, Androiden und höchstentwickelten menschlichen Replikaten kennen wir seit dem ersten Film zum Thema Künstliche Intelligenz: „Metropolis“ von 1927. Seitdem sind wir aufgewachsen mit KI-SciFi Klassikern wie „Robocop“, „Star Trek“ oder „Blade Runner“. Nicht nur die KI Forschung oder Robotik leistet enorme Fortschritte dieser Tage, auch die synthetische Biologie oder der 3D Druck von Zellen bis zu Körperteilen lässt womöglich in naher Zukunft SciFi Szenarien, wie Ghost in the Shell oder Ex Machina real werden.

Noch einmal zum Begriff Künstliche Intelligenz (engl. Artificial Intelligence – kurz: AI). Laut Definition ist Intelligenz die Fähigkeit komplexe Ziele zu erfüllen oder laut dem Oxford Dictionary „the ability to acquire and apply knowledge and skills.“ Wobei der Begriff sehr menschlich zentriert Verwendung findet, da Auto fahren auch nicht als „künstliches rennen“ bezeichnet wird. Fachleute, wie Max Tegmark, verwenden lieber den Begriff: Artificial General Intelligence (AGI) – die Intelligenz einer Maschine, die jede intellektuelle Aufgabe eines Menschen erfolgreich erfüllen kann.

Tegmark entwarf in seinem Buch Life 3.0 eine vereinfachte Klassifikation der bisherigen und kommenden Lebensformen. Vor 13,8 Milliarden Jahren entstand unser Universum. Das erste Leben auf der Erde erschien vor ca. 4 Milliarden Jahren und damit die sogenannte erste Stufe des Lebens: Bakterien bis hin zu tierischen Lebensformen. Ihr Dasein ist von ihrer Genetik vorbestimmt, das ist die 1. Stufe der Evolution.
Der Mensch als komplexere Form gehört zur Stufe 2, ist auch von der Biologie bestimmt in der Hardware, kann aber seine Software ‘designen’. Das bedeutet Fähigkeiten erlernen, Sprachen, Auto fahren oder komplexe wissenschaftliche Aufgaben lösen, wenn Fähigkeiten gezielt trainiert werden.
Die 3. Stufe betrifft verschiedene Lebensformen der Künstlichen Intelligenz, sie können in Erscheinung treten in Form von Robotern, Cyborgs oder einer von der KI selbst entworfenen Form; d.h. virtuelle Formen gehören auch dazu. Komplexes Wissen und Problemlösen gehört zu den elementaren Eigenschaften der KI basierten Lebensformen. Diese artifiziellen Wesen können nicht nur ihre Software, sondern auch ihre Hardware gestalten. Materialauswahl und-zusammensetzung können die Leistung in jede Richtung steigern, Wesen ohne materielles Dasein sind ebenso denkbar.

Bereits 1965 beschrieb I.J. Good – ein britischer Mathematiker – eine Intelligenz-Explosion, die heute
oft als technologische Singularität bezeichnet wird, wenn eine „ultra-intelligente Maschine“ in der Lage wäre, eine noch intelligentere Maschine zu konstruieren, die zur Schaffung von Maschinen führen würde, die weitaus intelligenter als Menschen wären. KI-Experte Max Tegmark hat das existenzielle Risiko künstlicher Intelligenz untersucht. Tegmark hat zehn mögliche Wege für die Gesellschaft vorgeschlagen, sobald „superintelligente KI“ geschaffen wurde, einige utopisch, manche dystopisch. Diese reichen von einer „libertären Utopie“ über eine wohlwollende Diktatur bis zur Eroberung von KI. Unter den vielen möglichen dystopischen Szenarien mit künstlicher Intelligenz können sich Roboter die Kontrolle über die Zivilisation von Menschen aneignen und sie dazu zwingen, sich zu unterwerfen. Oder, wie in William Gibsons Cyberpunk-Roman „Neuromancer“ von 1984, interessieren sich die intelligenten Wesen einfach nicht für Menschen. Es folgten viele Science-Fiction-Geschichten, eine der bekanntesten ist Stanley Kubricks Film 2001: A Space Odyssey, in dem der künstlich intelligente Bordcomputer H.A.L. 9000 tödliche Fehlfunktionen bei einer Weltraummission und die gesamte Besatzung aus dem Weg räumt, außer dem Kommandanten des Raumschiffs, dem es gelingt die KI zu deaktivieren. TARS und CASE aus dem Film „Interstellar“ hingegen demonstrieren simulierte menschliche Emotionen und Humor, während sie ihre Entbehrlichkeit anerkennen.

„Ex Machina“ – ein britischer Spielfilm von Alex Garland aus dem Jahr 2015 – stellt sich der fundamentalen Frage zum Thema KI: Wird die Maschine vom Menschen in Zukunft unterscheidbar sein? Im Film erhält der junge Programmierer Caleb eine Einladung zum Wohnsitz des exzentrischen Firmengründers Nathan. Das Genie betreibt Forschungen zur künstlichen Intelligenz. Caleb soll sein Studienobjekt, den weiblichen Androiden Ava, einem einwöchigen Turing-Test unterziehen. Mit dem später sogenannten Turing-Test formulierte Alan Turing 1950 eine Idee, um festzustellen, ob eine Maschine ein dem Menschen gleichwertiges Denkvermögen besitzt. Dieser Test war zunächst nur eine theoretische Skizze, die erst später, nachdem die Künstliche Intelligenz als Teilbereich der Informatik zu einem eigenständigen akademischen Fachgebiet geworden war, genauer und konkreter ausformuliert wurde. Wenn der Proband nach der Befragung nicht klar sagen kann, ob es sich um Maschine oder Mensch handelt, hat die Maschine den Turing-Test bestanden.

Bei Ex Machina führt der Protagonist Caleb eine Reihe von Gesprächen mit dem Androiden Ava durch. Dank ihrer sanften
und intelligenten Gesprächsführung gelingt es ihr, Caleb von ihrer Individualität zu überzeugen und eine emotionale Beziehung zu ihm aufzubauen. Ava erweist sich letztlich jedoch als kühl berechnendes Wesen. Sie nutzt Calebs Zuneigung gezielt, um ihre Flucht zu organisieren. Doch nicht nur um menschenähnliche Formen geht es bei
der KI-gesteuerten Robotik der Zukunft, Tiere können ebenfalls eine formgebende Inspiration sein. Kürzlich veröffentlichten Wissenschaftler seltene Aufnahmen von einem Hai der Arktis. Der Fall zeigt, dass es selbst mit den vielen technologischen Fortschritten der letzten Jahre eine herausfordernde Aufgabe bleibt, Meereslebewesen aus nächster Nähe zu dokumentieren. Computerwissenschaftler des MIT glauben, dass sie eine Lösung gefunden haben: den Einsatz von Robotern. Ein Team von MITs Labor für Informatik und Künstliche Intelligenz (CSAIL) hat „SoFi“ entwickelt, einen weichen Roboterfisch, der unabhängig von echten Fischen im Ozean schwimmen kann. Während der Test-Tauchgänge
im Rainbow Reef im Südpazifik schwamm SoFi 40 Minuten am Stück in Tiefen von mehr als 15 Metern. Flinker Umgang mit Strömungen und die Aufnahme von hochauflösenden Fotos und Videos mit einem Fischaugen-Objektiv gehören zu seiner Ausstattung. Mit seinen wellenförmigen Flossen und seiner Fähigkeit, seinen eigenen Auftrieb zu kontrollieren, kann SoFi in einer geraden Linie schwimmen, sich drehen oder in verschiedene Richtungen tauchen.

Existierende autonome Unterwasserfahrzeuge (AUVs) sind traditionell an Boote gebunden oder werden von sperrigen und teuren Propellern angetrieben.
Im Gegensatz dazu hat SoFi ein viel einfacheres und leichteres Setup, mit einer einzigen Kamera, einem Motor und der gleichen Lithium-Polymer-Batterie, wie sie in Smartphones zu finden ist. Um den Roboter zum Schwimmen zu bringen, pumpt der Motor Wasser in zwei ballonartige Kammern im Fischschwanz, die wie ein Satz Kolben in einem Motor funktionieren.

Die gesamte hintere Hälfte des Fisches besteht aus Silikonkautschuk und flexiblem Kunststoff, und mehrere Komponenten sind 3-D-bedruckt, einschließlich des Kopfes, der die gesamte Elektronik enthält. Das Projekt ist Teil einer größeren Arbeitsgruppe, genannt CSAIL am MIT, das sich auf biegsame Roboter konzentriert, die das Potenzial haben, sicherer, robuster und wendiger zu sein als ihre Kollegen mit hartem Körperbau. Weiche Roboter sind in vielerlei Hinsicht einfacher zu steuern als starre Roboter. Damit besteht bei den Forschern weniger Sorge Kollisionen zu vermeiden. In den nächsten Schritten wird das Team an mehreren Verbesserungen von SoFi arbeiten, wie die Geschwindigkeit des Fisches zu erhöhen, indem das Pumpsystem verbessert und das Design des Körpers optimiert wird.

Das ist natürlich ein sehr friedliches und zunächst rein wissenschaftliches Projekt. Jedoch leicht verwandelbar in eine militärische Nutzung, wie zur Spionage und militärischen Zwecken. In der KI Forschung liegen viele Chancen für Zukunftstechnologien vom Alltag bis hin zur Weltraumerforschung. Bisherig unüberbrückbare technische Hindernisse könnten von der künstlichen Intelligenz gelöst werden. Nehmen wir nun an, dass sich die Gesellschaft in die nächste evolutionäre Stufe hebt unddie KI zum „Zuarbeiter“ deklariert. Daraus resultieren viele
ethische Fragen über
unsere Befugnis,
vielleicht empfindet
die KI diese Tätigkeit
als herabwürdigend
und ausbeutend. Die Bewusstwerdung der
Roboter oder Androiden kann zu einemAusbruch führen,
neben „Ex Machina“
sehen wir ein ähnliches Szenario in
der Serie Westworld.Es zeigt die Versklavung der KI, die
unweigerlich in eine
Revolution der letztlich überlegenen
Lebensform mündet.
Matrix hat noch eine
dunklere Dystopie
entworfen, der den Menschen zu einer Batterie für die Maschinen degradiert. Es sind selbstverständlich düsterste Szenarien, die als Warnungen zu verstehen sind, sollten wir die Kontrolle verlieren.

Die KI Skeptikern sind keinesfalls Randgruppen, sondern im Gegenteil, viele Intellektuelle und Forscher machen sich ernsthaft Sorgen um kommende Generationen. Max Tegmark, ebenfalls als Professor tätig am MIT, hat sich frühzeitige Auseinandersetzung zur Aufgabe gemacht und damit die Diskussion über künstliche Intelligenz weltweit eröffnet. Neben Büchern, Artikeln oder Vorträgen, hat er 2014 das Future of Life Institute mitgegründet, das dem Ziel gewidmet ist, existentielle Risiken für die gesamte Menschheit zu verringern, insbesondere durch Nuklearwaffen oder transformative Technologien wie fortgeschrittene Künstliche Intelligenz oder Biotechnologie. Der Beirat der Organisation zählt unter anderem den Unternehmer Elon Musk, den KI Forscher Stuart Russel, den Philosophen Nick Bostrom. KI kann uns rapide zu unendlichen Ressourcen führen, in eine interplanetare Gesellschaft mit ungeahnten technischen Möglichkeiten transformieren. Visionen von hochtechnisierten Städten, Planeten, Sonnensystemen ließen sich realisieren. Oder es kommt zum Kontrollverlust, die KI verfolgt eigene Ziele und Motive, die fatale Folgen für die Menschheit nach sich ziehen. Es liegt an jedem von uns, wie das Leben 3.0 aussehen wird.

 

Fotos: Nora Heinisch

Text: Diana Wehmeier, Plasma Magazine

Erschienen in INTERSECTION Nr. 35

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