ON THE ROAD

DIE SCHWEIZER FOTOGRAFEN NICO KREBS UND TAIYO ONORATO REISTEN DURCH AMERIKA AUF DER SUCHE NACH DEN ÜBERRESTEN DES AMERIKANISCHEN TRAUMS

Shot Car, 2005, C-Print, 94x122 cm

Die Straßen gehören zum amerikanischen Mythos wie Zeus in den Olymp der Antike. Nichts symbolisiert den amerikanischen Traum besser als die endlosen Highways, die das Land wie Lebensadern durchziehen. Das Auto ist das Schmieröl, das den amerikanischen Traum antreibt wie ein V8 einen Trans Am.

Car 2, 2008, C-Print, 50x65 cm

Das uramerikanische Versprechen einer grenzenlosen Mobilität meint nicht nur eine physische Bewegungsfreiheit, man kann es auch als Sinnbild für soziale Mobilität lesen. Vom Tellerwäscher zum Millionär: Jeder kann, wenn er nur will. Die Schweizer Fotografen Taiyo Onorato und Nico Krebs wissen, dass der amerikanische Traum längst ein Klischee geworden ist. Doch ihnen ist auch bewusst, dass die USA wie kein anderes Land der Welt in der Lage sind, ihren eigenen Mythos immer wieder neu zu erfinden und zu inszenieren. Zwischen den beiden Großereignissen, die das Land im Mark erschütterten, unternahmen Taiyo Onorato und Nico Krebs ausgiebige Reisen durch das Landesinnere.

Der 11. September und die Finanzkrise sind der unsichtbare Rahmen, der die surrealen Fotoarbeiten der Serie „The great Unreal“, die 2005 und 2006 entstanden sind, umschließt. Ein Jahrzehnt, in dem das ehemals mächtigste Land der Welt sich vom Schock der einstürzenden Türme des World Trade Centers erholen wollte und durch die Pleite der Lehman-Brothers-Bank in die nächste Krise stürzte. Die Traummaschine Hollywood hat die amerikanische Wirklichkeit in endloser Vielfalt inszeniert, bis sie zum Mythos wurde. Taiyo Onorato und Nico Krebs wiederum inszenieren den Mythos der amerikanischen Wirklichkeit. Ein Auto, das vor einem Motel parkt und leuchtet, als würde es von einem Scheinwerfer aus dem Himmel angestrahlt. Ein Straßenmodell, das die Fotografen so in der Landschaft positionieren, dass es auf den ersten Blick wie ein echter Highway wirkt. In dem Bild mit dem Titel „Happy Ending“ liegt ein Straßenmodell als abgeschlossener Kreis in einer prärieartigen Landschaft.

Leadville 3, 2008, C-Print, 50x65 cm

Bed Street, 2005, C-Print, 46x55 cm

Die vermeintliche Freiheit des Highways, der sich schnurgerade bis zum Horizont erstreckt, kehrt in dem Foto wieder als eine Straße, auf der man vergeblich im Kreis herumfahren muss, könnte man auf ihr wirklich fahren. Auf dem Foto „Clubwagon“ basteln die Schweizer Fotografen aus Zivilisationsschrott wie alten Lampenschirmen, kaputten Hi-Fi-Anlagen und Reifen ein Auto. Fotografiert in einem dunklen Wald wirkt es wie ein zutraulicher Zombie, ein Wiedergänger der amerikanischen Konsumgesellschaft. In den Fotografien von Taiyo Onorato und Nico Krebs kippt das Ensemble aus Landschaft, Highways, Autos, Strommasten und Wohnsiedlungen ins Surreale. All die Bilder, die uns aus zahllosen Hollywood-Filmen und Medienbildern vertraut vorkommen wie eine virtuelle Heimat, die wir kennen, ohne jemals da gewesen zu sein, wirken hier plötzlich fremd, manchmal wie ein vergilbtes Foto aus einer fernen Vergangenheit, manchmal magisch. Jack Kerouac tauschte in den 50ern das Pferd gegen das Auto ein. Seine Reisen mit dem Beat-Poeten Neal Cassady inszenierten eine moderne Version des Hollywood-Cowboys, der frei und unabhängig durch die Weiten des Landes zieht. Kerouacs berühmtes Buch „On the Road“ ist bevölkert von exzentrischen Menschen. Kerouac sympathisiert mit den Outlaws und Verrückten, die alte Regeln brechen und neue aufstellen. Die Fotografien von Krebs und Onorato sind menschenleer. Sie misstrauen dem optimistischen Versprechen von Freiheit, das in Kerouacs Buch gemacht wird, weil sie dem amerikanischen Mythos misstrauen. Onorato und Krebs entlarven die amerikanische Selbstinszenierung, indem sie sie bis ins Unwirkliche steigern. „The great Unreal“ zeigt ein Vakuum, einen eigenartigen, traumhaften Schwebezustand, ein Land auf der Suche nach sich selbst. Das Auto ist dabei wie Strandgut der Geschichte. Mal hell erleuchtet, mal zerschossen und abgewrackt.


Text: Hendrik Lakeberg
Erschienen in INTERSECTION Nr. 5

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