IN KLEINWAGEN TAUCHEN IMMER MEHR LUXUSEXTRAS AUF. GLEICHZEITIG VERDÜNNT DER GLOBALE GESCHMACK DEN CHARAKTER DER WAHREN OBERKLASSE. WAS ALSO BLEIBT DER AUTOMOBILE FIXPUNKT, WENN MAN MOBILITÄT ÜBER BEWEGUNG DEFINIERT UND NICHT ÜBER AUSSTATTUNG? BEVOR WIR BALD IN STAPELBAREN MICROCARS FAHREN, WIDMEN WIR UNS AN DIESER STELLE EINEM ZEITLOSEN LUXUS: NOSTALGIE.
UNTERWEGS NACH ACADIANA
Zu den Strategien vieler Premiummarken gehört heute das sogenannte Downtrading. Dafür werden Ausstattung und Technologien aus der Oberklasse nach unten durchgereicht. Etwa diverse Fahrassistenten, mittlerweile Z auch Multimediasysteme, Onlineinterfaces und LED-Licht. Der Kleinwagen Mazda2 kommt sogar mit einem Head-up Display. Weil die Zyklen zunehmend schneller drehen, sind die Cheflimousinen-Goodies immer zahlreicher verfügbar.
Super Sache, findet der Schnäppchenjäger in uns. An ein luxuriöses Fahrzeug im ursprünglichen Sinn kommen wir gerade eh nicht ran. Ausnahmen sind 20 Jahre alte Semi-Gurken, Europcar-Upgrades, der in der Stadt unparkbare Rolls-Royce Silver Shadow. Und, als Joker, der notorische VW Phaeton, den mein Kollege Philipp kürzlich für zwei Jahre leasen musste – weil der Händler ihn zu günstigeren Konditionen anbot als einen Golf 1.4 TSI. Politisch korrekt trägt das Downtrading – vom Parkassistenten bis zur Abstandsregelung – auch zu erhöhter Sicherheit bei. Luxus war selten so sozial-demokratisch.
Spurensuche in der Oberklasse
Allerdings entsteht ein Luxusproblem im doppelten Sinn. Was bleibt, wenn die wichtigsten Extras der Business- schon in der Holzklasse buchbar sind? Für die Entwickler der Prestigemodelle verengt sich der Möglichkeitsraum. Deren Sensationen und Rekorde entfernen sich immer mehr von erlebbaren Fahrleistungen. Sie sind bereits jetzt zunehmend ätherisch und hyperfunktional: Die neue 7er-Reihe bewirbt BMW über die revolutionäre Gestensteuerung der Infotainmentfunktionen. Die aktuelle Mercedes-Benz S-Klasse fliegt mit ihrem kamerabasierten Superfahrwerk über alle Buckelpisten. Im Fond relaxt der Passagier dabei im First-Class-Liegesitz, steuert digital den Parfumverdufter – und betrachtet ein Innenraum, designt mit dem Geschmack einer Oligarchengattin.
Lost in Translation – in den technisch besten Autos, die jemals in Deutschland gebaut worden sind, fühlen wir uns allmählich wie in einem chinesischen 5-Sterne-Hotel oder in einer emiratischen Flugha- fenlounge.
Barocker und technischer Bombast wird allmählich zum Alleinstellungsmerkmal deutscher Luxuskarossen. Ein westliches Ästhetikideal, das Form nach ihrer Funktion definiert, verliert gegen die Vorlieben der Reichen aus China, Russland und Arabien. Lost in Translation – in den technisch besten Autos, die jemals in Deutschland gebaut worden sind, fühlen wir uns allmählich wie in einem chinesischen 5-Sterne-Hotel oder in einer emiratischen Flugha- fenlounge. Orte, die man betritt, um wieder zu gehen. Wo eine W126-S-Klasse noch den Inbegriff kraftvoller, luxuriöser Eleganz darstellte, löst sich heute die gestalterische Klarheit in globaler Beliebigkeit auf.
Acadiane on my mind
Eine rote Ampel auf dem Kaiserdamm in Berlin-Charlottenburg. Ich sitze in einer dieser technisch perfektionierten Oberklasse-Limousinen aus Süddeutsch- land, Baujahr 2015. Ob Benz, BMW oder Audi, das ist nicht wichtig. Sie alle sind Bewerber um die beste Kapsel im Raum der Großstadt, die nur wenig an den Fahrer heranlässt. Selbstgenügsam bis zum get no fehlt es auch mir an nichts. Bis eine anachronistische Motorhaube vor das wärmegedämmte Glas des Seitenfensters rollt. Sie ist Teil einer Citroën Acadiane, blassblauer Lack, sichtbare Rostränder, niederländisches Kennzeichen. Eine Strandhütte mit Rädern, die man in den achtziger Jahren „Reiseente“ nannte. Durch das offene Fenster der Acadiane fällt mein Blick auf das Armaturenbrett, wo zwei nackte Füße ruhen. Sie gehören einer wunderschönen Beifahrerin. Am Zweispeichenlenkrad, damals upgetraded vom Citroën 2CV, sitzt ein sehr lässiger Typ. Draußen sind es schwere 37 Grad, die beiden schwitzen, ihre Haare wehen im Nachmittagswind.
Nur einen Meter entfernt habe ich mich in meinem Luxusliner von dieser Welt entkoppelt. Die Multi-Zonen-Klimaautomatik hält konstant 21 Grad, der Bordcomputer liefert mehr Daten als eine Marssonde, über den W-LAN-Hotspot kann ich mit der gesamten Welt kommunizieren. Das Acadiane-Pärchen ist unterwegs nach Westen da, wo die Sonne später fett und rot versinken wird. Sie fahren durch bis zum nächsten Meer. Ich bin nur auf dem Weg zum Wannsee und werde am Abend auch schon wieder in der Stadt erwartet.
Seit diesem Ampelstopp träume ich nicht mehr von Vogelahornintarsien, Burmester-Stereoanlage und Volllederausstattung. Sondern von Acadiana, dem Land des immerwährenden Sommers, in dem es nach Benzin und Salz, nach Meer und nach Liebe duftet. Wo 31 PS und ein Drehmoment von 41,2 Newtonmeter ausreichen. Und es nichts ändert, ob ich heute ankomme oder erst morgen.
Citroën Acadiane
0,6 Liter-Motor mit 23 kW (31 PS), entstanden 1978 aus der Dyane, einer Schwes- ter der „Ente“. Auf ihrer Basis erhielt sie hinter den Vordersitzen einen Wellblechkasten, in dem man mit zwei Personen wohnen und schlafen konnte. Bis 1987 wurden vom vielleicht besten véhicule d’amour der Welt 253.000 Exemplare gebaut.
Text: Jan Wilms Foto: Niels de Wit
Dieser Beitrag ist in INTERSECTION Nr. 3/2015 erschienen.