Kaum ein Unternehmen wächst in der Autoindustrie gerade so rasant wie Lynk & Co. Dabei will der Hersteller und Anbieter die Industrie von innen erneuern und neue Normen setzen. Mit einem Abonnement-Konzept wird das eigene Elektroauto zum Sharingtool, kann aber eben auch ohne eigenes Fahrzeug per App mitgenutzt werden. Hatte Lynk & Co im Januar noch 150 Mitarbeiter, sind es mittlerweile schon 600. Die Maßstäbe für Innovation kommen beim eigenen Unternehmen auch nicht zu kurz: 80% der Mitarbeiter haben nie in der Autoindustrie gearbeitet, durch eine Quote sind 48% der Mitarbeiter weiblich. Im exklusiven Interview mit Intersection erzählt der CEO von Lynk & Co Alain Visser, wieso die Autoindustrie arrogant ist, wo Veränderungen beginnen müssen und wie Nachhaltigkeit gestaltet werden kann.
Das Netflix der Autoindustrie
Lieber Alain, wieso ist die Autoindustrie unflexibel, unsexy und wenig nachhaltig?
(Lacht) Ich glaube, es ist eine Industrie, die von außen betrachtet sehr sexy aussieht. Wenn man auf eine Party geht und gefragt wird, wo man arbeitet, fangen alle an, über Autos zu sprechen. Von innen allerdings ist sie überhaupt nicht sexy. Es hat sich nichts bewegt in den letzten 50 Jahren. Es ist eine Industrie, die getrieben wird von Finanziers oder Ingenieuren. Es gibt keine Visionäre, alles ist sehr technologisch. Auch davon ausgehend, dass sich nur das Produkt entwickelt, hat sich das iPhone in den letzten fünf Jahren mehr entwickelt als ein Auto in den letzten 50. Ich finde das Wahnsinn, dass das so eine arrogante Industrie ist, die gleichzeitig von sich behauptet, innovativ zu sein. Aber nur das Produkt ändert sich. Und auch das Thema Nachhaltigkeit ist ein Witz und so scheinheilig – auf einmal sind alle Autohersteller nachhaltig. Und warum? Weil wir jetzt elektrische Autos bauen. Und elektrische Autos bauen wir nur, weil Tesla gezeigt hat, dass es möglich ist, nachdem die Industrie jahrzehntelang auch mich überzeugt hat, dass es unmöglich ist eine Batterie zu entwickeln, mit der ein Auto über 200 Kilometer fahren kann. Wenn das Geschäftsmodell darauf besteht, dass man so viel wie möglich von einem Produkt verkauft, dass 96% der Zeit nicht benutzt wird – wie kann man sich dann um Gottes willen nachhaltig nennen? Das ist so heuchlerisch, das hat mich wirklich gestört und ich bin jetzt 35 Jahre in dieser Industrie. Ich hatte das Glück, eine neue Marke gründen zu können. Ich wollte etwas von innen verändern und ich sage nicht, dass wir die Welt verändern wollen, aber wir versuchen, nachhaltig Geld zu verdienen und ein Konzept zu entwickeln, das umgekehrt funktioniert. Der Grund, warum sich nichts ändert, ist, dass es immer noch profitabel ist. Die Gewinnspanne ist sehr gut.
Wie kann die Industrie neu gedacht werden? Was ist das Konzept von Lynk & Co?
Wir wollten das gesamte Geschäftsmodell der Autoindustrie vergessen. Stattdessen haben wir uns gefragt, wie wir das Produkt nutzen können, damit es nachhaltig ist und gleichzeitig Spaß macht. Deswegen nennen wir uns gerne das Netflix der Autoindustrie, weil Netflix zwar auch eigene Filme und Serien produziert, aber hauptsächlich Streams verkauft. Wir verkaufen Mobilität, man schließt einen monatlichen Vertrag ab, der aber jederzeit kündbar ist und dich nicht zu einer bestimmten Periode verpflichtet. In der gewünschten Periode kannst du dein Auto per App mit anderen Personen teilen und je mehr du teilst, desto weniger Kosten hast du und desto nachhaltiger bist du. Es ist eine Win-win-Situation. Für uns ist es ein Geschäftsmodell, für den Kunden gehen die Kosten runter und es ist besser für die Umwelt. Wir wollten aber kein Autohaus bauen, sie sind langweilig und außerhalb der Städte. In 35 Jahren habe ich noch immer nicht die Familie entdeckt, die am Sonntag morgen zu ihren Kindern sagt: „Kommt, wir fahren jetzt zum Toyota Händler.“ Deswegen wollten wir Läden eröffnen, die Spaß machen und Leute abholen, die sich sonst nicht für Autos interessieren. Wo man gerne Zeit verbringt. Daher haben wir das Konzept für unsere Clubs entwickelt, weil ich glaube, dass man ein Geschäftsmodell online starten kann, aber ich glaube nicht daran, dass man eine Marke online bauen kann. Dafür muss es physische Unterstützungspunkte geben.
Wieso muss unser Konzept von Eigentum neu gedacht werden?
Wir haben unser Konzept auf der Basis von costumer research gestartet und die wichtigste Information, auf die wir gestoßen sind, ist der Trend von experience over ownership, der in Europa, den USA und China dominiert. Auf einmal geht es um Erfahrungen, Abendessen, Restaurants, Weekend Trips, Yoga, Fitness. Die Erfahrung wird wichtiger als das Eigentum und das ist eine sehr interessante Entwicklung. Noch spannender ist aber, dass dieser Trend auch das Sharing ermöglicht. Wenn es dir nicht so wichtig ist, was du besitzt, ist deine Bereitschaft zu teilen auch größer. Wenn man vor 20 Jahren gesagt hätte, es gibt ein Unternehmen, dass es dir ermöglicht, dein Haus an Fremde zu verleihen, hätte jede Person gesagt, das ist Wahnsinn. Warum würde ich mein Haus teilen wollen? Und jetzt ist Airbnb ganz normal. Wieso wird es bei einem Haus akzptiert, aber nicht bei deinem Auto? Dein Haus benutzt du 50% der Zeit, dein Auto gerade mal 4%. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Teilen von privaten Autos normalisiert wird.
Wie wurde eure Idee in der restlichen Industrie aufgenommen?
Ich glaube, nicht dass wir sehr beliebt sind (lacht). Aber das gehört dazu. Ich sage immer zu meinen Kollegen: „Wenn man so einen Job macht, kreiert man genauso viele Freunde wie Feinde.“ Es ist nie gern gesehen, wenn jemand gegen den Strom schwimmt. Aber wir besitzen auch nicht die Arroganz zu sagen, die sind alle falsch und wir sind richtig. Wir haben das Selbstbewusstsein zu sagen, hier ist noch Platz für etwas anderes. Man merkt schon, dass die Autoindustrie und die Händlerorganisation uns wie einen Störenfried anschaut, der gegen sie ist. Andererseits hat es mich überrascht, wie die Autopresse, die normalerweise sehr konservativ ist, unser Konzept akzeptiert und begrüßt hat.
Man zahlt bei euch monatlich 500€ für das Abonnement. Ist das nicht auch sehr exklusiv? Was ist mit einem Konzept für Menschen mit weniger Einkommen?
Das ist ein guter Punkt, ja, und ein großes Dilemma. Wir wollten das Konzept extrem simpel halten, nur ein Auto in zwei verschiedenen Farben anbieten, keine Optionen. Damit ist unser Konzept nicht das günstigste. Dafür hat es ein gutes Preis- Leistungs-Verhältnis. Aber wir müssen auch ehrlich sein, wir dachten zu Beginn unsere Zielgruppe wären Millenials, das haben wir sehr schnell abgeändert – weil es nicht eine Frage des Alters, sondern eine Frage der Einstellung ist. Wenn man studiert oder gerade absolviert hat, ist es unwahrscheinlich, ein Budget von 500€ pro Monat zur Verfügung zu haben. Das wissen wir. Wenn unsere Autos jedoch ein gewisses Alter haben, werden sie in einen zweiten Zyklus kommen und als Gebrauchtwagen verkauft werden. Das macht das Konzept für ein kleineres Budget zugänglicher.
Und junge Leute könnten immernoch die Sharingfunktion nutzen.
Genau. Und was wir sehen, und das gefällt mir sehr, ist, dass Leute sich ein Abonemment teilen. Sie brauchen ein Auto, aber nicht immer, nicht die ganze Zeit. Und die wohnen meistens in der Stadt, und teilen sich dann zu zweit oder zu dritt das Abo. Mit der Lynk & Co App kann man das Auto dann auch noch mit anderen Personen teilen und so wird es eben zu einem Communityauto. Das macht es auf einmal auch bezahlbar.
Kann man die Autos auch kaufen, nachdem man sie geleast hat?
Genau. Man kann sie allerdings auch ganz neu kaufen.
In euren Clubs, wie zum Beispiel in Berlin oder Hamburg, werden auch Produkte vertrieben, die nicht zur Autoindustrie gehören. Wieso ist der ganzheitliche Ansatz wichtig?
Wir wollten insbesondere, dass die Marke spaßig ist, mehr in Richtung Lifestyle geht und vor allem nachhaltig ist. Deswegen wollten wir nicht mit großen etablierten Marken zusammenarbeiten, sondern mit kleineren und lokalen, die vielleicht nicht das Budget haben, um Geschäfte zu öffnen und eine Plattform brauchen, um ihre Produkte darzustellen. Wenn man in einen unserer Clubs geht, merkt und sieht man das. Da sind tolle, nachhaltige Produkte, die alle eine eigene Geschichte haben. Es gibt zum Beispiel einen Kugelschreiber, der aus recycelten, illegalen Waffen hergestellt wurde. Wir haben sogar Hundespielzeug, das ein Paar aus Stockholm entworfen hat, als sie für ihren Hund welches kaufen wollten und überrascht festgestellt haben, dass es nur Spielzeug aus Plastik gibt. Sie haben dann Material entwickelt, das recycelbar, nachhaltig und gut für die Zähne von Hunden ist. Also alles hat eine Geschichte bei uns, auch wenn es manchmal verrückt aussieht. Personen, die unseren Laden zufällig betreten, wissen oft gar nicht, worum es sich handelt. „Ist es eine Bar? Ist es ein Concept Store? Oh, da hinten steht ja auch ein Auto.“ Es ist vielleicht zunächst verwirrend, aber bewusst so gestaltet.
Ihr habt nur ein Auto in zwei Versionen, einmal einen Plug-in-Hybrid und einen Vollhybrid. Wie kam es dazu?
Wir wollten als aller erstes keinen Verbrennungsmotor, weil er einfach nicht nachhaltig ist. Bewusst haben wir uns aber auch gegen das vollelektrische Auto entschieden, weil ich der Meinung bin, dass die Ladeinfrastruktur in Europa noch nicht ausreichend ist und es einfach nicht praktisch ist. Unsere Plug-in-Hybride haben eine Reichweite von 70 Kilometern, das heißt innerhalb der Stadt kann man problemlos mit der Batterie fahren. Wenn man aber mal längere Strecken fahren will, kann man auf den Motor umstellen. Wir werden die Autos mit der kleineren Reichenweite und ohne Kabel einstellen, weil wir sehen, dass die Nachfrage beinah hauptsächlich dem Plug-in-Hybrid gewidmet ist, was natürlich auch das nachhaltigere Auto ist.
Auch elektrische Autos stehen unter Kritik wegen der Akkus. Was könnten Alternativen sein?
Ich denke, es gibt verschiedene Ansätze. Bis jetzt geht es in der Autoindustrie aber nur um den Motor. Das Getriebe ist auf einmal eine Batterie und das ist natürlich ganz wichtig. Aber man muss auch anderswo ansetzen und das beginnt bei der Produktion. Ist die Produktion nachhaltig? Dann: Sind die Materialien, die im Auto benutzt werden, nachhaltig? Wir haben zum Beispiel entschieden, dass wir kein Leder anbieten wollen – der Stoff ist aus recycelten Fischnetzen hergestellt. Drittens: Wie wird das Auto am Ende recycelt? Und dann natürlich das Wichtigste überhaupt: Wie wird das Auto benutzt? Das ist meiner Meinung nach der unnachhaltigste Aspekt der Autoindustrie. Darüber redet jedoch kein Mensch. Wir haben jetzt supergrüne Autos und die stehen für 96% der Zeit nur rum. Diese Elemente müssen meiner Meinung nach in der Autoindustrie angepackt werden, abgesehen von dem Fokus auf Elektromobiliät. Wir müssen auch ehrlich zugeben, dass das Auto in einer Großstadt nicht das ideale Fortbewegungsmittel ist. In den europäischen Städten machen 30% des Verkehrs Leute aus, die einen Parkplatz suchen. Das ist doch absurd!
Danke!
Interview von Antonia Schmidt
Bilder: Lynk & Co