Leuchtioden unter der Haut

 

Hochpotente Fettschocks, das Hirn auf LSD: Seit der Glaube an die Seele verloren ging und nur noch der Tragekörper blieb, trachten Menschen nach der Optimierung ihrer selbst. Sind wir tatsächlich nur Nietzsches Brückenschlag zwischen Tier und Übermensch? Eine Spurensuche zwischen Piercing-Studio und Supermarktkasse

Als kleines Kind findet man es heraus, manche werden auch von anderen kleinen Kindern darauf hingewiesen: Wenn man ein vermeintlich sinnvolles Wort, also einen Begriff, ganz oft hintereinander ausspricht, dann verliert das Wort im Verlauf dieser Prozedur seinen Sinn. Irgendwann entlässt man dann lediglich Laute in den Raum.

Ähnlich ging es mir beim Lesen des schwer angesagten Begriffes biohack – nach einigen Malen fielen mir dazu irgendwie gesündere, vor allem aber bessere Frikadellen ein. Um die geht es den Freunden des Biohacking jedoch nicht. Worum also geht es?

Um nicht mehr und nicht weniger als um den Übermenschen. Eine etwas in Vergessenheit geratene Fantasie. Den Älteren wird hierzu vermutlich noch Friedrich Nietzsche einfallen, der, ganz rasend vor Liebeskummer für Lou Salomé in Also sprach Zarathustra eine seiner mysteriösesten Zeilen dichtete: der Mensch sei nur ein Seil, gespannt zwischen dem Tier und dem Übermensch. Mit einem dementsprechenden Brainhack, beispielsweise einer zu Lebzeiten Friedrich Nietzsches nicht erhältlichen Mikrodosis von zehn Mikrogramm LSD, lässt sich dieses sprachliche Bild womöglich fassen. Anderen zerfällt der Sinn, sobald sie ihr begriffliches Auge über dieses von Nietzsche beschriebene Seil zu schicken versuchen. So ist das leider manchmal mit der Poesie.

Es gibt nur eins: den Körper

Mittlerweile hängt ja hoffentlich niemand mehr dem Glauben an Körper und Seele an. Inzwischen hat hoffentlich jeder begriffen, dass der Dualismus ein Glaube war und dass es in der Wirklichkeit nur das eine gibt: den Körper. Dieses Wissen bringt aber auch eine Einschränkung. Und gegen die beschränkten Möglichkeiten ihres Körpers gehen Bodyhacker vor. Drogen oder sich in jemanden zu verlieben – beide Erlebnisse führen das Bewusstsein in Zustände, die mit der gewohnten Verfassung nur noch wenig zu tun haben. Das Gefühl, über sich hinauszuwachsen, beflügelt zu werden, nie wieder schlafen oder essen zu müssen, legt den Gedanken doch sehr nahe, dass der Körper mehr kann, als er ansonsten so hergibt. Da schlummert etwas. Wie weckt man es auf?

Ein früher, primitiver Bodyhack bestand in der Trepanation. Dabei kam bei – maximal verwirrten – Hippies, die es ernst meinten, eine flexible Verlängerung an einer möglichst langsam rotierenden Bohrmaschine zum Einsatz, mit der sich der Proband vor dem Spiegel mithilfe eines Bohrers von etwa zwei Zentimetern Durchmesser ein Loch durch die Schädeldecke fräste oder von einem Freund fräsen ließ. Ein nahezu schmerzfreier Bodyhack, der nach Aussagen von Beteiligten bald nach dem Nachwachsen der zerstörten Kopfhaut einen bewusstseinserweiternden Effekt gebiert: Der Schädelknochen hat die Eigenschaft, nicht mehr zusammenzuwachsen. Das Loch unter der Kopfhaut bleibt also. Dadurch kann die unser Gehirn umgebende Gewebsflüssigkeit in diesen von der Bohrmaschine geschaffenen Hohlraum eindringen. In der Folge reduziert sich der Druck auf das Gehirn zwar nur minimal, aber entscheidend. Da das Gehirn hinsichtlich seiner Durchblutung – grob vereinfacht erklärt – nach dem Prinzip Schwamm funktioniert, wird ein minimal druckentlastetes Gehirn zwar minimal, aber entscheidend besser mit Blut versorgt als eines, dessen Schädelgehäuse nicht trepaniert wurde. Und erhöhte Durchblutung im Gehirn, das weiß man aus der Werbung für Dextroenergen, vom Verlieben und vom Nehmen von Drogen: turnt an. Und das ab jetzt und für immer – wer will da Nein sagen? Mit Depeche Mode gesprochen: Never Let Me Down.

Büroklammern und der Magnet unter der Haut

Gut, das mit der Bohrmaschine ist fürchterlich. Und wenn der Durchbruch erst einmal geschafft ist, lässt sich dieser Bodyhack schwer rückgängig machen. Für viele Menschen besteht darin aber der Hauptanreiz, etwas Neues auszuprobieren: Reversibilität. Dass man auch wieder runterkommt. Von daher Drogen. Deshalb ist Verlieben so dermaßen gefährlich.

Bei der Trepanation ist es noch nachvollziehbar, wie die Leute auf solche Ideen gekommen sind. Säuglinge kommen mit einer sogenannten Fontanelle auf der Welt, die Schädeldecke ist noch nicht geschlossen, und bis das vollzogen ist, sind sie dem Anschein nach durchgängig super drauf. Diejenigen aber, und das sind mittlerweile doch ziemlich viele, die sich in die Fingerspitze oder in die Hand einen Magneten implantieren lassen, werden dazu nicht aus der Naturbeobachtung inspiriert worden sein. Das Seil, das Nietzsche beschrieb, ist zum Kabel geworden. Dieser Bodyhack versucht, mit Kraftwerk gesprochen: die Fusion von Maschine und Mensch. So ein Magnet unter der Haut eignet sich zunächst für lustige Vorführeffekte. Beispielsweise Büroklammern dippen. Es gibt auch jemanden, der sich einen Magneten unter die Haut seines Oberarmes implantieren ließ, um dort während des Joggens seinen iPod befestigen zu können. Interessanter als solche Mätzchen ist jedoch eine Erfahrung, von der viele Magnetimplantatträger in den Foren berichten: Der simple und preiswerte Bodyhack nämlich verändert angeblich die Wahrnehmung bezüglich der magnetischen Felder um uns herum. Und davon gibt es wohl erstaunlich viele. Nicht nur auf Schrottplätzen, die – man erinnere sich an Breaking Bad – mit extrem starken Magneten aufwarten. Magnetimplantatträger sollten Schrottplätze weiträumig meiden, denn in besagten Foren liest man auch von unangenehmen Begegnungen mit gewissermaßen unfreundlichen Maschinen. Nämlich dass sich beim Vorbeigehen an einem Schrottplatz der unter der Haut befindliche Magnet in der Fingerspitze umzudrehen beginnt wie beim Rest der Menschheit der sprichwörtliche Magen. Gewiss ein einmaliges und so gesehen übermenschliches Gefühl, auf das aber selbst eingefleischte Magnetfans lieber verzichten würden, wie sich den Forumsbeiträgen entnehmen lässt. Was sich aber wohl toll anfühlt: wenn man an der Kasse im Supermarkt steht (wo magnetische Felder aus den Diebstahlssicherungen branden), wenn man seinen Computer anschaltet, bei der Sicherheitskontrolle im Flughafen und, und, und. Ständig nimmt der Magnetimplantatträger die Nähe eines magnetischen Feldes wahr, das sich durch ein kurioses Vibrieren des Implantates bemerkbar macht. Und dies anfänglich noch bewusst, also die Sinnesinformation des vibrierenden Implantats wird dann noch mit dem Gedanken Oh, ein neues Magnetfeld, wie schön! quittiert. Nach einer Phase der Akklimatisierung aber wandern diese über- menschlichen Wahrnehmungsfähigkeiten in den Sektor all jener menschlichen Wahrnehmungen ein, für die vom Bewusstsein eben keine Quittung mehr ausgestellt wird. Dann wird der magnetische Reiz zu einer Information wie Tageslicht. Ein mit einem Magnetimplantat biogehackter Mensch kann also tatsächlich mehr empfinden als die Serienmodelle um ihn herum. Ohne dass er auch nur irgendwie besser funktioniert.

Bei Stress: noch mehr arbeiten!

Dave Asprey würde vermutich allein aus diesem Grund ein Magnetimplantat ablehnen. Weil es nichts bringt – geldmäßig. Der Amerikaner hat eine Firma gegründet, die er Bulletproof nennt. Hier sitzt das öde Spektrum der Biohackergemeinde. Die Produkte und Seminare von Bulletproof wenden sich an all diejenigen, die vor Stress kaum noch aus den Augen gucken können und sich nach einem leistungsfähigeren Körper verzehren, um noch mehr arbeiten zu können. Da kommt es gut, wenn Asprey auf seinem Blog damit punkten kann, dass er in den letzten zwanzig Jahren einen mittleren sechsstelligen Betrag in das Hacking seines Körpers investiert hat. Damit ist in seinem Fall aber leider kein lustiges Magnetimplantat gemeint oder ein unter die Haut verpflanzter Chip, mit dem er seinen Computer entriegeln kann, wie ihn die Berliner Programmiererin Rin Räuber ihr eigen nennen darf. Dave Asprey benutzt seltsame Lebensmittel, um sich an Nietzsches Seil in Richtung Übermensch zu hangeln. Über seine Website vertreibt er unter anderem ein Zeug namens Brain Octane. Dabei handelt es sich um hochpotentes Öl aus Kokosnüssen, die sich der Proband in aller Frühe zusammen mit Butter Marke Kerrygold in seinen Kaffee rühren soll. Auf dieses Rezept ist Meister Asprey eigenen Erzählungen zufolge während einer Extremwanderung durch Tibet gestoßen. Er hat es lediglich verfeinert, beziehungsweise in seinem Fall: vergröbert. Der hochpotente Fettschock kurbelt wohl die Hirndurchblutung trepanationsartig an, das Hirn kann schon kaum mehr nach dem ersten Schluck und hat in der Folge von Fett und Blut so dermaßen die nicht vorhandene Schnauze voll, dass es den restlichen Tag über wie besessen alles Fett verbrennt, was reinkommt. Schaut man sich das Portraitfoto des Biogehackten Dave Asprey an, fällt einem als Serienmodell allenfalls noch dazu ein: Doch, ja, ist schön geworden.

Ob man dann die ebenfalls erhältlichen Tassen, das hochgetunte Kaffeepulver, die Software und die Energieriegel bestellt, ist fraglich. Nietzsche sah ja auch nicht eben vertrauenerweckend aus. Konnte aber wenigstens dichten.

Rina Räuber übrigens, die Frau mit dem Chip im Finger und einem Magneten in der Hand, will einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen zufolge von Berlin nach China umziehen. Sie wünscht sich Leuchtdioden unter ihrer Haut. Die sollen pulsierend blinken wie das Herz von ET. Das macht ihr keiner hier in Europa. Noch nicht, denn das Implantieren von Magneten zählt in städtischen Piercingstudios mittlerweile zum Tagesgeschäft.

Text: Joachim Bessing

Dieser Beitrag ist erschienen in der INTERSECTION Nr. 25.

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