DIE STADT ALS REINE INFORMATION

DIE KÜNSTLERIN LARISSA FASSLER SAMMELT MONATELANG INFORMATIONEN AN ORTEN WIE DEM KOTTBUSSER TOR IN BERLIN ODER DEM GARE DU NORD IN PARIS. IHRE ZEICHNUNGEN UND PRINTS SIND DATEN-KARTEN FUR DAS 21. JAHRHUNDERT.

Ms Fassler, Ihre Arbeiten über urbane Orte und Nichtorte sind wahnsinnig detailliert. Was interessiert Sie an der Stadt?

Mir geht es einerseits darum, wie Raum und Architektur Menschen in ihrem Verhalten beeinflussen. Andererseits bewegt es mich, wie Stadtplanung darauf angelegt ist, Menschen zu disziplinieren. Eine Ringstraße mit schnell zirkulierendem Verkehr wird gerne dort gebaut, wo man größere Menschenansammlungen und Demos unterbinden möchte. Etwa am Place de la Concorde in Paris.

Paris ist in dieser Hinsicht sehr spannend. Im 19. Jahrhunderts ließ Napoleon III. den Baron Haussmann die großen Boulevards planen. Sie zogen sich bald wie Schneisen durch die Stadt. Auf diesen Boulevards konnte man nicht nur schön spazieren gehen, sondern auch zügig Truppen in die aufmüpfigen Arbeiterviertel schicken.

Das stimmt. In Paris wie Berlin gibt es diese unglaublichen Schichten von Geschichte, die sich übereinanderlegen und parallel existieren. Man muss sie nur freilegen. Ich habe viel Zeit am Place de la Concorde verbracht. An der Stelle, an der heute der Obelisk steht, stand während der heißen Phase der Revolution die Guillotine. Über tausend Menschen wurden hier geköpft, darunter Ludwig der XVI., Marie Antoinette, Danton und Robespierre.

Ein Berliner Beispiel für diese Schichtung von Geschichte ist die neue BND- Zentrale in Mitte. Hier stand zuvor das Stadion der Welt- jugend der DDR, welches wiederum aus dem Schutt des gesprengten, heute wieder im Aufbau befindlichen, Berliner Schlosses errichtet wurde.

Das ist wirklich eine fantastische Transformation!

Zurzeit arbeiten Sie an einem Projekt über den Pariser Gare du Nord.

Ja, hier interessiert mich vor allem die Frage nach der Mobilität, was in ihrem Kontext ja das Entscheidende ist. Ich wollte wissen, ob die vorwiegend von Franzosen mit afrikanischen Wurzeln bewohnten Viertel der nördlichen Banlieues Zugang zum Verkehrsnetz haben. Sie haben es nicht! Man braucht sehr lange mit Bus und Bahn um von Orten wie Clichy-sous-Bois, welches nur 15 km außerhalb liegt, ins Stadtzentrum zu kommen. Das hat viel mit Politik zu tun.

Sie recherchieren oft monatelang jeden Tag ein einem Ort. Kommen sie mit den Menschen ins Gespräch?

Nein, es gibt überhaupt keinen Austausch. Ich bleibe komplett außen vor und lasse mich treiben. Einen Tag fällt mir auf, wie die Schatten über den Platz wandern, den nächsten zähle ich Taschen und notiere ihre Farben, folge fremden Menschen für eine Weile, notiere was sie sagen. Spannend ist auch, welche Sichtachsen die Touristen am liebsten Fotografieren, wohin ihre Blicke gerichtet sind. Ich sammle obsessiv, will jedes Detail herausfinden. Am Ende nehme ich diese Masse an Daten mit ins Studio und beginne zu zeichnen.

Auf ihren Zeichnungen und Prints vermischen sich analoge und digitale Informationen. Man hat denEindruck, sie seien eine künstlerische Form der Augmented Reality wie sie etwa Google Glass simulieren soll.

Oh, das ist ein interessanter Vergleich. Das Digitale hat auf jeden Fall einen Einfluss auf meine Arbeit und mein Denken. Wenn ich mir Städte anschaue dann automatisch aus der Vogelperspektive, zudem rotiere ich meine Ansichten. Das erinnert an Google Maps und scheint mir eine ganz natürlich Art und Weise geworden zu sein, Räume zu erschließen.

Was hat sie an den Berliner Schlossplatz gezogen?

Hier haben sich verschiedene Debatten darüber entsponnen, wie die Zukunft von Berlin aussehen könnte. Radieren wir Geschichte aus? Faken wir sie?

Der Naubau des Schlosses ist sehr kontrovers.

Es ist wirklich ein Skandal. Man behauptet eine historische Kontinuität, die die DDR, den Weltkrieg und auch den Nationalsozialismus völlig ausblendet. Das ist ein regelrechter Whitewash von Geschichte. Eine zeitgenössische Lösung wäre hier angebracht gewesen.

Hat sie etwas während ihrer Recherche am Schlossplatz überrascht?

Höchstens, dass er so disfunktional und langweilig ist.

Vermissen Sie den Palast der Republik?

Das kann ich so nicht sagen. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob die Menschen da damals in der DDR gerne hingegangen sind. Was ich vermisse ist die aufregende Zeit der Zwischen- nutzung. Die Wagner Opern und die verrückten Sportevents die man im entkernten Gebäude veranstaltete. Der holländische Architekt Rem Koolhaas hat einmal gesagt, dass Stadtzentren diese extreme Offenheit und Flexibilität nicht erlauben, weil das Zentrum der Stadt kontrollierbar bleiben muss. Daher gibt es immer nur kurze Phasen solchen kreativen Chaos’. Das ist bedauerlich aber wohl nicht zu ändern.

 

Text: Ruben Donsbach

Dieser Beitrag ist in INTERSECTION Nr. 3/2015 erschienen.

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