MILEN TILL

Erst DJ, jetzt Künstler. So unterschiedlich die Lebensentwürfe sind, so verschieden sind auch die Medien, mit denen Milen Till heute arbeitet. Von Skulpturen über Installationen bis zu Objekten beziehen sich die Kunstwerke immer wieder auf Milens Anfänge, die Skate-, Graffiti- und Clubkultur. Im Mai eröffnete seine Ausstellung „Livre d’Or“ im Loft der Galerie Suzanne Tarasieve in Paris. 

Deine Arbeit Schlitten (2021–2022) bezieht sich auf verschiedenen Ebenen auf die Autoindustrie. Da wäre einmal der Titel und dann die Logos, die auf dem tatsächlichen Schlitten angebracht sind. Kannst du mir etwas ber den Hintergrund der Arbeit erzählen?
Der alte Holzschlitten stammt aus meiner Kindheit. Ich habe ihn im Fahrradkeller gefunden, in dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Mit ihm bin ich oft den wirklich steilen Schlittenberg hinunter gerauscht, das ging nicht immer gut aus und erforderte etwas Übermut. Eine Zeit lang war ich in einer kleinen Nachbarschaftsgang und wir stellten viel Blödsinn an. Eine besonders gemeine und vor allem dumme Mutprobe war es, einen Mercedes-Stern abzubrechen und als Trophäe in seinem Kinderzimmer zu verstecken. Ich habe bis heute ein schlechtes Gewissen. Die Kombinationen dieser beide Gegenstände ist in gewisser Weise eine Reaktivierung dieser Kindheitserinnerungen, die mit einem gewissen Risiko verbunden waren. Im Grunde ist Kunst machen nicht sehr viel anders – mit jeder neuen Arbeit geht man ein Risiko ein.

Die Arbeit kann in zwei verschiedenen Positionen präsentiert werden, liegend und aufrecht. Wieso die verschiedenen Perspektiven?
Liegend ist es eine Anspielung auf Joseph Beuys’ „Schlitten“ aus dem Jahr 1969 – also eher in die Vergangenheit gerichtet, ein kunstgeschichtliches Zitat. Aufrecht bekommt die Arbeit eine raketenhafte Stellung, also eher zukunftsorientiert, und es wird klar, dass die Kühlerfiguren fest im Holz des Schlittens verankert sind und nicht nur drauf liegen. Mir gefällt auch, dass es diese beiden Präsentationsmöglichkeiten gibt, die der Schlitten von sich aus einfach hergibt: quer und Hochformat.

„Schlitten“ spricht verschiedene Themen an, beispielsweise das Nachhaltigkeitsproblem in der Autobranche. Welche Veränderungen würdest du hier gerne sehen?

Ich denke, da wird jetzt aus Image-Gründen – natürlich nicht nur – eh sehr viel gemacht, und man kann über die technischen Fortschritte nur staunen. Als Künstler kann ich die Dinge nur übersetzen und die Zeit, in der ich lebe, künstlerisch begleiten. Ich muss da an das Zitat von Albert Einstein denken: „Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“ Vielleicht beinhaltet meine „Schlitten“-Arbeit auch eine ähnliche Vorausahnung für die Autobranche.

Besitzt du selbst ein Auto? Wenn ja, welches?
Nein. Aber gefühlt besitze ich jedes zweite Carsharing-Auto beziehungsweise jeden Carsharing-Sprinter, der in der Stadt rumsteht.

Wenn du dich langfristig fr ein Fortbewegungsmittel entscheiden msstest, welches wäre das? Und wieso?
Das Fahrrad. Es ist und wird für immer eines der genialsten Erfindungen der Menschheit bleiben.

Auch die Kunstwelt hat Probleme mit Nachhaltigkeit – Reisen zu Messen, Festivals, et cetera. Wrdest du hier Parallelen zur Autoindustrie ziehen?
Ja. Reisen erscheint mir in unserer Zeit ähnlich absurd wie ein eigenes Auto zu besitzen. Ich war im April zum ersten Mal in meinem Leben auf der Biennale in Venedig. Vom Gefühl her reicht mir das auch erstmal fürs ganze Leben. Ich habe einen Kollegen gefragt, den ich dort zufällig auf einer Brücke traf, und der sich wunderbar auskannte, die wievielte es bei ihm denn sei: Er meinte, es sei seine elfte. Ich finde das jetzt überhaupt nicht schlimm oder so, auch ein eigenes Auto nicht, nur eben irgendwie absurd, und dadurch ja auch wieder viel interessanter. Früher wäre mir eine solche Antwort überhaupt nicht aufgefallen.

 

Auch frhere Arbeiten haben einen Bezug zur Fortbewegung, dark_white on PAAR zeigt „Rock ’n’ Roll 1984“, ein Skateboard  auf zwei Plattenspielern, und „Brett 2019“ ein Skateboard mit Kraftwerk-Cover drauf. Inwieweit beeinflusst die Skate- und Graffitikultur deine Kunst heute noch?
Das war meine Jugend, vor allem das DJing. Das beeinflusst einen dann das ganze Leben. So wie Filz und Fett bei Beuys oder Judo bei Yves Klein habe ich diese Elemente verinnerlicht und sie tauchen in irgendeiner Form in meiner Kunst immer wieder auf.

Inwieweit spielen andere Kunstwerke, die Kunstgeschichte, eine Rolle in deinen Arbeiten?
Letztendlich hängt alles miteinander zusammen und ich versuche diese Verbindungen mal mehr mal weniger aufzuzeigen.

Wie wrdest du dich selbst bezeichnen? Als Konzeptknstler? Minimalist? Gibt es eine Epoche, zu der du dich zugehörig fhlst?
Mit 15 habe ich dem Schweizer Künstler Pavel Schmidt über ein paar Jahre immer mal wieder begleitet und assistiert. Er war eine Zeit lang eine Art Mentor für mich. Er hat mir sehr viel gezeigt und ich habe über ihn den Objektkünstler Daniel Spoerri und seine Arbeit kennen gelernt. Er kannte ja Marcel Duchamp noch und war Teil des Nouveau Réalisme. Diese Zeit hat mich sehr geprägt und ich vermute, dass sie auch der Grund ist, wieso ich heute so arbeite wie ich arbeite. Ich habe jetzt aber nochmal sechs Jahre Malerei bei Gregor Hildebrandt studiert und ich tu mich schwer damit, eine treffende Bezeichnung für mich zu finden.

Du hast gerade deine Diplomarbeit „Freifläche“ in der Akademie der Knste in Mnchen präsentiert, in der Poller als Symbolik fr Freiheit, Toleranz und Zugänglichkeit betrachtet werden können. Ist das auch ein politisches Statement?
In diese Arbeit konnte viel hineininterpretiert werden, es gibt viele Ebenen. Und genau das wollte ich damit erreichen.

Du warst lange DJ und hast dich erst spät fr eine Karriere als Knstler entschieden. Gibt es im kreativen Prozess Gemeinsamkeiten?
Ich habe mich ungefähr zur gleichen Zeit entschieden: mit 15 Jahren. Aber Künstler im klassischen Sinne war für mich etwas für Erwachsene, das reifen muss, keine Jugendkultur wie es damals Hip-Hop und später Techno für mich war. Ich wollte in die dunklen Clubs, doch nicht in die hellen Galerien. Das wollte ich mir für später aufheben. Die Gemeinsamkeit liegt vielleicht darin, dass in beiden Branchen viel Alkohol und Drogen konsumiert werden.

Und was ist der größte Unterschied?
Dass ich das mit dem Alkohol und Drogen jetzt hinter mir habe.

Du arbeitest mit vielen verschiedenen Medien. Gibt es noch ein Medium, das du gerne fr dich entdecken oder ausprobieren wrdest?
Ziel für mich ist es, gar kein Medium mehr zu haben, so puristisch wie nur möglich zu sein und dadurch universell. Das ist natürlich utopisch, aber vielleicht eine Richtung, in die ich gehen will.

Anfang des Jahres hast du deine Abschlussarbeit präsentiert. Wie sind jetzt deine Pläne? Woran arbeitest du gerade?
Für meine Abschlussarbeit habe ich den Debütantenpreis erhalten, der eine Katalogförderung beinhaltet. Zusammen mit meiner Galerie Crone arbeite ich momentan an dieser Publikation. Am 19. Mai eröffnet außerdem meine Ausstellung „Livre d’Or“ im Loft der Galerie Suzanne Tarasieve in Paris.

 

„Ich wollte in die DUNKLEN CLUBS, doch nicht in die hellen Galerien.

 

Intersection #43
Interview: Antonia Schmidt

Verwandte Artikel