Walkampf

PAul WATSON lEhNT SICh mIT SEINER ORgANISATION SEA ShEPhERD gEgEN DEN SKRuPEllOSEN WAlFANg IN DEN OzEANEN DER WElT AuF. DAS hAT Ihm gERIChTSvERFAhREN, AbER AuCh vIElE SYmPAThIEN EINgEbRAChT, DENN mIT guERIllA-mEThODEN KAmPFT ER AuF hOhER SEE OFT uNTER EINSATz SEINES lEbENS FuR EINE guTE SAChE: gEgEN DIE AuSROTTuNg DER ANmuTIgEN mEERESRIESEN.

Auf dem Bildschirm erscheint ein blau-graues Schiff in voller Fahrt mit der Aufschrift „Research“. Es schneidet die Route so scharf, dass nur ein kleiner a Anstoß genügt, um die an Bord mitgenommene Kamera ins zweite Boot fallen zu lassen. Diese Episode des zweiten Februars 2014 ist nichts als das letzte Geplänkel in einer wilden, maritimen Keilerei, die sich jeden Winter im Wasser der Antarktis abspielt. Das Ziel des Angriffs: die japanischen Walfänger und ihre Schlachtbank-Flottille, die angibt, für die Saison 2014 1035 Wale (davon 50 Finnwale, eine bedrohte Art) für wissenschaftliche Zwecke zu benötigen. Womit gemeint ist: Die „Forschung“ der Walfänger ist unverzichtbar für die menschliche Gesundheit (Es werden Make-up-Produkte aus Walen hergestellt) und ihr kulinarisches Fortkommen. Eigentlich ist der kommerzielle Walfang seit 1986 untersagt. Ein Mann kämpft gegen diese Maskerade: Der kanadische Kapitän Paul Watson, 63 Jahre, hat die Verfolgung der Ozean-Wilderer zu seiner Lebensmission gemacht.

Nachdem der Greenpeace-Co-Gründer die Umwelt-Organisation 1977 wegen zu viel Bürokratie verließ, hat er „Sea Shepherd“ gegründet. Seit dem können die Wilderer der Meere nicht mehr ruhig schlafen: Es plagt sie die Angst, am Horizont die Piratenflagge der Schiffe des rachsüchtigen Kapitän Watson zu sehen.

"ICh hAbE ImmER gESAgT, DASS DIE mAChTIgSTE WAFFE DER WElT DIE KAmERA IST"

„Im letzten Jahr konnten sie nur 10 Prozent ihrer Quote erreichen“, triumphiert Watson über Skype. Irgendwo, zwischen sympathischem Lebemann und skrupellosem Captain Hook erklärt der in Jahrzehnten des Kampfes geschulte Watson die wichtigsten Regeln von „Sea Sheperd“. Nummer 1: Nie- mand wird verletzt. Nummer 2: Wir gehen keine Kompromisse ein. „Wenn jemand 1000 Wale töten will, dann einigen wir uns nicht auf 500. Wir wollen, dass keiner getötet wird.“ Die Aktionen von Sea Shepherd bestehen nicht nur aus bierernsten Guerilla-Aktionen. Es kommt durchaus auch zu humorvollen Intermezzi: 2010 hat Sea Shepherd falsche Eier herstellen lassen, aus denen bei Kontakt mit Wasser aufblasbare Riesenkrokodile schlüpfen, wenn sie an Bord des Walfängers landeten. Eine harmlose Aktion, aber ein Geschenk des Himmels für das weltweite Fernsehen. Eines hat Watson nach all den Jahren verstanden: „Die stärkste Waffe der Welt ist die Kamera. Sie kann mehr Schaden anrichten als die beste Harpune.“

Seit mehr als 50 Jahren ist Watson Aktivist: Mit neun hat er bereits die Trapper seines Heimatdorfes in New Brunswick, Kanada, verrückt gemacht, als er Tiere aus ihren Fallen befreite. „Ich habe mir viele Feinde gemacht“, lacht er. Als junger Mann heuert er bei der Küstenwache an, dann als Matrose des norwegischen Frachtschiffs Bris, bis er sich schließlich in den frühen 70ern in das Greenpeace-Abenteuer wirft. So protestiert er zum Beispiel gegen die Atomversuche bei Mururoa oder er unterstütze die Bürgerrechtsproteste der amerikanischen Indianer 1973 in Wounded Knee.

1975 erlebt er einen Schlüsselmoment: Während der ersten großen Aktion von Geenpeace stellt er sich auf offenem Meer mit seinem Freund Robert Hunter zwischen ein russisches Harpunenboot und einen Wal. Bevor ein Wal starb, sah er Robert Hunter in die Augen, „Ich hatte das Gefühl, dass dieser Wal wusste, warum wir da waren und was wir machten“, erinnerte sich Hunter später. Das hinterlässt tiefe Spuren bei Watson, sodass er 1977 Sea Shepherd gründet und sich ganz dem Schutz der Meere widmet.

Seitdem befindet er sich im ständigen Kampf mit Walfängern, die immer dreister werden und sich geschützt von der japanischen Regierung so gut wie alles erlauben, was eigentlich strikt verboten ist. Die skrupellosen Walfänger verstricken sich in Lügen und vergessen dabei, dass sie von Kameras gefilmt werden, oder sie denken, dass der verrückte Hippie Watson irgendwann schon Ruhe geben wird. Weit gefehlt.

Lamya Essemlali, Präsidentin von Sea Shepherd Frankreich, die sich der NGO 2005 angeschlossen hat, erzählt von einer Aktion in der Antarktis: „Es war Weihnachten 2005“, beginnt sie. „An diesem Tag stießen wir auf die „Nisshin Maru“, einen Walfänger, der zehn Mal größer ist als unser Boot. Trotz Wellen von acht Metern stellten wir uns dem Boot in den Weg. Wenn es sich weiter in unsere Richtung bewegt hätte, wäre es zu Ende gewesen. Aber wir sind nicht abgedriftet. Wir haben die Sirenen aktiviert, sodass man uns deutlich hören konnte. Um uns herum die Mauern aus Wasser … Wir dachten, wir gehen drauf. In der letzten Sekunde drehte der Walfänger das Steuer herum.“

Acht Jahre später hatte die Flotte von Sea Shepherd (zusammengesetzt hauptsächlich aus alten Schiffen, mit Ausnahme der „Ady Gil“, ein Motorboot in Form einer futuristischen Wasserspinne, das in der Lage
war, 50 Knoten schnell zu fahren, aber 2010 bei einem Zusammenprall mit einem japanischen Schiff unterging) nichts als seine Entschlossenheit.
Sie überlegen sich aber permanent neue Strategien. „Auf eines unserer alten Schiffe haben wir eine Vorrichtung installiert, die wir Dosenöffner nannten“, erklärt Lamya. „Es war ein Metallstück, welches bei einem Zusammenprall den Schiffsrumpf über dem Wasserpass beschädigen konnte.

Wir verwendeten auch Wasserkanonen oder selbst gebaute Stinkbomben mit ranziger Butter, sodass das Walfleisch sofort verdarb, wenn unsere Geschosse den Walfänger erreichten.“

Seit man diese Vorrichtung verwendet, haben sich die Japaner mit hohen Netzen gewappnet, um sich zu schützen. „Eine sonderbare Waffenart – ihr Erfolg hängt von der Geschicklichkeit desjenigen ab, der das Boot steuert“, sagt Watson.

Aktuell ist der Kanadier Kapitän unter Polizeischutz – seit Costa Rica und Japan Interpol überzeugt haben, ihn daran zu hindern, die Vereinigten Staaten zu verlassen. „In uns erweckt das die Lust, eine leichtere und noch schnellere Schiffs-Flottille zu entwickeln. Ein Militärschiff wäre gut“, träumt er, „aber die sind viel zu teuer. Perfekt wäre ein Unterseeboot.“ Lamya Essemlali nickt genüsslich. „Man könnte sie gut ärgern von da unten.“ Pause. Lachen. „Für uns wäre so ein Gefährt von großem Nutzen“, verspricht sie. Die Wale denken mit Sicherheit genau so.

Der Fotograf Giacomo Cosua arbeitet für die Parley-Initiative –„For the Oce- ans“, die anstrebt, Projekte zu initiieren und finanzieren, die unser Verständ- nis für die Schönheit und Fragilität der Ozeane sensibilisieren. www.parley.tv

Text: Sebastian Carayol 

Fotos: Giacomo Cosua

Dieser Beitrag ist in Intersection Nr. 17 erschienen. 

Verwandte Artikel